„Handed over your keys“,  schrieb uns der Nachbar vor einigen Monaten. Was so viel bedeutet wie: Die Schlüssel zu unserem Haus in Indien waren nun bei der Hausverwaltung. Nach über 2 Jahren, die seit unseres Umzugs von Deutschland nach Indien vergangen waren.

Ein Großteil unserer Sachen ist schon lange hier – aber unser Haus in Indien – das gab es immer noch. Es war Teil des Arbeitsvertrags, den mein Mann immer noch bis vor ein paar Monaten für das indische Institut hatte. Und eigentlich war geplant, dass er sich einige Monate im Jahr dort aufhält, für seine Arbeit. Aber dann kam die Pandemie. Und mein Mann stand eines Abends im März 2020 plötzlich vor der Tür, nachdem er von Afrika nach Indien nicht mehr einreisen durfte. Seither ist er hier. 

Und so war unser Haus in Indien mehr als 1,5 Jahre unbewohnt. Ein paar Möbel, die wir nicht mit nach Deutschland nehmen wollten, standen darin, einige Kleider, die man in den Tropen besser brauchen kann als hier, und auch ein paar wenige Dinge, die uns doch recht lieb sind, die mein Mann aber noch brauchte dort: die kleine Kaffeemühle zum Beispiel, mit der wir täglich unseren Kaffee mahlten, die Bose-Box, mit der wir an den Praktikas auf dem Campus Tangomusik spielten, der silberne Koffer, dem das Mädchen immer noch nachweint, weil sie fand, dass er ihr gehörte, und den mein Mann für kürzere Reisen benutzen wollte. 

All das staubte nun in unserem kleinen Haus vor sich hin. Der Staub, der sich in Indien ansammelt, ist ein anderer und krasserer als ich das aus Deutschland kenne. Es ist ein grau-gelber, klebriger Film, der fest auf allen Dingen haftet und nur schwer noch abzukriegen ist. 

Die Inderin, die gelegentlich sauber machen und sich um den Garten kümmern sollte, durfte mit Beginn der Pandemie nicht mehr auf den Campus, wie alle anderen Hausangestellten es auch nicht mehr durften. Ab und an warf die Nachbarin einen Blick in das Haus, holte die wichtigsten Wertgegenstände zu sich, sichtete und vertrieb Mäuse aus den Schränken, die längst an unseren Kleider nagten. 

Vor ein paar Monaten dann wurde das Haus leergeräumt. Per Handykamera ging mein Mann einmal mit durch die Räume, gab Abweisungen, was mit welchen Dingen passieren würde. 

Der Wasserfilter aus Auroville, der so schwierig zu kriegen und anzuschließen waren, und der mich so glücklich machte mit seinem leckeren, von Mantras beschallten Wasser, hat einen Abnehmer gefunden. Der Herd mit Backofen, der mich, bis er endlich funktionierte, zum Wahnsinn trieb, und in dem wir später unsere Sauerteigbrote, Apfelkuchen und missglückten (weil das Mehl in Indien kein Gluten hat) Pizzen buken ebenso. Es sind nur Gegenstände des täglichen Gebrauchs, aber was sie in einer so anderen Umgebung für mich im Alltag bedeuteten, welche Mühe es war, sie zu beschaffen – das kann wohl nur jemand nachvollziehen, der selbst einmal in einer sehr anderen Kultur gelebt und einen Hausstand aufgebaut hat. Immerhin, so will man meinen, gab es ja schon das Internet. Als wir nach Indien zogen, war Amazon dort noch in den Anfängen. Die Auswahl war noch sehr begrenzt. Und auf einem anderen Blatt stand, wie das, was wir bestellten bei uns ankam. 

Wenn ich nun an die leeren Räume dieses Hauses denke, kann ich alles wieder fühlen: die Mühen und die Freuden, die Herausforderungen, das Glück. Vor allem aber wird es das Haus bleiben, in dem unser Mädchen die ersten drei Jahre ihres Lebens verbrachte, in dem sie laufen lernte, sprechen, essen. Ich komme aus Indien, sagt sie nach wie vor. Und irgendwie stimmt das ja auch. 

Der Garten vertrocknete in dieser Zeit, die Fliesen der Außendusche bekamen Risse, das Bambusbett im Garten wurde von Monsun und Termiten zerfressen. Doch der Mangobaum steht noch, die Affen werden weiterhin kommen um die Früchte zu klauen. Das Haus ist leer und wartet – auf seine neuen Bewohner. Mögen sie glücklich sein und sich zu Hause fühlen. 

Und die Nachbarin? Die ist auch nicht mehr da. Sie ist inzwischen mit ihrer Familie weggezogen. In die Nähe von Ahmedabad. Nun gibt es nichts mehr, wohin wir zurückkehren können. Wir werden es trotzdem eines Tages tun. Denn das Mädchen fragt nach immer, wann wir wieder nach Indien gehen. Und natürlich werden wir dann nach Ahmedabad fahren, und vielleicht komme ich dann endlich auch mal ins Textilmuseum

Nicht ist für immer da. Nichts ist für immer verloren. Einstweilen staune ich über das täglich sich wandelnde Indien in mir. 

An manchen Tagen baut sich die Hitze auf wie eine steile Wand, senkrecht zunächst, aber im Laufe des Tages kippt sie und droht irgendwann alles unter ihr zu begraben. Komm, sagt die Nachbarin, wir laufen zum See, vielleicht ist es da ein wenig besser. Am See werfen die Kinder Stöcke ins Wasser, wir sitzen am Ufer, blicken auf den sinkenden Wasserstand und den Müll und reden. 

Erinnerst du dich an Sher, sagt die Nachbarin. Ich nicke. Sher sieht man jeden Abend lange lange mit seinem Fahrrad Kreise über den Campus ziehen.

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durchs Winterdunkel segeln

November, Dezember. Die Monate verschwimmen ineinander, die Laternen haben sich in den Dezember geschlichen und der aufgeregte Dezember mit all seine Köstlichkeiten und kleinen Ritualen in den November. Es muss an der Pandemie liegen, woran auch sonst. Nie zuvor habe ich schon im November Weihnachtskekse gebacken und so viele Lebkuchen gegessen wie dieses Jahr. 

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