An manchen Tagen baut sich die Hitze auf wie eine steile Wand, senkrecht zunächst, aber im Laufe des Tages kippt sie und droht irgendwann alles unter ihr zu begraben. Komm, sagt die Nachbarin, wir laufen zum See, vielleicht ist es da ein wenig besser. Am See werfen die Kinder Stöcke ins Wasser, wir sitzen am Ufer, blicken auf den sinkenden Wasserstand und den Müll und reden.
Erinnerst du dich an Sher, sagt die Nachbarin. Ich nicke. Sher sieht man jeden Abend lange lange mit seinem Fahrrad Kreise über den Campus ziehen.
Sher und Asha haben zwei Kinder. Asha sehe ich so gut wie nie. Ihr kleiner Sohn ist jetzt 2 und schon seit sie schwanger war mit ihm, habe ich sie kaum außer Haus gesehen. Eine Weile versuchten wir Asha zu überreden, abends zum Spielplatz zu kommen. Sie kam ein paar Mal. Dann blieb sie wieder weg.
Asha ist in den letzten zwei Jahren abgemagert und ergraut, sieht ausgezehrt aus vom Stillen. Aber sie kann nicht aufhören weil die Schwiegereltern im Haus das nicht erlauben. Sher sieht man nie mit seinem Sohn. Damit haben die Schwiegereltern scheinbar kein Problem.
In Indien gelten für alles doppelte Standards, sagt die Nachbarin. Das treibt uns in den Ruin.
Daran sind auch die Mütter schuld, sage ich, die die Söhne schützen und eng an sich binden. Die Mütter haben eine erstaunliche Macht. Da haben die Ehefrauen wenig Chance. Einen indischen Psychoanalytiker, er ist übrigens mit der wunderbaren Künstlerin und Religionswissenschaftlerin Katharina Kakar verheiratet, habe ich mal sagen hören: Im Westen leugnen die Männer ihre Abhängigkeit von der Mutter. In Indien leugnen sie ihre Unabhängigkeit von der Mutter.
Ich mache das nicht so, sagt die Nachbarin. Schau dir an, wie ich mit meinen Söhnen bin. Das heißt aber, dass du eines Tages nicht mehr Nummer eins sein wirst, sage ich ihr. Du musst damit einverstanden sein, dass dann die Ehefrau Nummer eins wird. Und du an die zweite Stelle rückst. Die Nachbarin nickt.
Ein einziges Mal redeten wir länger mit Asha. Manchmal, erzählte sie uns, ruft sie Sher um 11 Uhr abends an und sagt ihm, er solle jetzt endlich nach Hause kommen.
Sag Sher, er soll mit dem Kind auf den Spielplatz gehen, sagen wir. Fast immer sind bei uns nämlich die Väter abends dran. Wenn sie aus dem Büro kommen, nehmen sie die Kinder. Die Nacharin geht dann ins Fitnesstudio. Ich an meinen Schreib-Tisch.
Asha schüttelt den Kopf. Sher mag kleine Kinder nicht so gern. Er kann nichts mit ihnen anfangen.
Die Nachbarin und ich, wir ziehen die Augenbrauen hoch.
Zum ersten Geburtstag machte Sher übrigens eine riesige Party für seinen Sohn. Mit Zauberer, Fotograf, Musik und an den 100 Leuten.
Asha trägt traditionelle Kleidung: Salwar Kameez oder Sari. Und Bangles, wie es sich für eine verheiratete Ehefrau gehört. Auch das erwarten die Schwiegereltern.
In Deutschland könnte sich Asha scheiden lassen, sage ich zur Nachbarin.
Hier aber ist das schwierig. Schmach und Schande kommen hinzu. Und es ist eher fraglich, dass Asha ihre Kinder weiter sehen könnte. Ich erinnere den unfassbaren Schmerz im Gesicht einer Frau, wenn sie meine kleine Tochter sah. Sie hatte es gewagt, sich getrennt. Und ihren kleinen Sohn seither nie wieder gesehen. Wenn Asha Glück hätte, nähmen ihre Eltern sie vielleicht zurück. So wie die Ehefrau in einem der anderen Häuser in unserer Nachbarschaft. Sie wurde dermaßen von ihrem Mann geschlagen, dass sie davon lief, in ihr Elternhaus zurückkehrte. Den Mann verwies man vom Campus, er darf hier nicht mehr wohnen. Immerhin.
Wir schweigen. Die Kinder schmeißen jetzt Steine, weil sie keine Stöcke mehr finden. Die Stöcke treiben in der Zwischenzeit auf den See hinaus.
In der Nacht kommt endlich ein Gewitter.
Aus dem Archiv unveröffentlichter Blogtexte, geschrieben in Indien im Monat Mai oder Juni, zur heißesten Zeit. Die Namen wurden verändert.