Rita oder die verwundete Frau

Ich sehe so gut wie keine Serien und sowieso auch sonst nichts. Alles was flimmert, habe ich mir in den Jahren in Indien irgendwie abgewöhnt. Die erste Serie, an der ich tatsächlich in den letzten Wochen krank im Bett wirklich einmal hängen blieb, ist Rita

Am Anfang war ich noch skeptisch. Was sollen diese banalen Schulgeschichten, dachte ich? Doch nach und nach wickelte die Serie mich ein. Ich wurde immer neugieriger darauf, noch ein bisschen mehr von Rita zu erfahren. Und natürlich fiel ich den Mechanismem zum Opfer, die in die Handlung eingebaut sind, um die Sogwirkung zu erzielen.  

Anyway, wer ist Rita? 

Rita ist eine Lehrerin in ihren Vierzigern und – zu Beginn der Serie – wohl das was man eine toughe (taffe) Frau nennen könnte. Gibt’s für tough eigentlich ein deutsches Wort? Rita ist widerstandsfähig, robust, rau und – hart. Ihre Härte ist das, was mir am meisten an ihr auffällt. Rita hat drei Kinder, die aber aus dem gröbsten raus sind. Sie kann nicht viel mehr kochen als Nudeln mit Ketchup. Sie hat Affären mit Männern, in denen es fast ausschließlich um Sex geht. 

Rita ist nicht nur hart, sondern auch kalt. So kommt sie rüber, mit ihren engen Jeans in den langen Beinen – sex appeal! – den Holzfällerhemden und der Lederjacke. Wenn sie so durch die Gänge spaziert oder – was sie dauernd tut – an allen möglichen und unmöglichen Orten raucht, erinnert sie an Lara Croft. Gefühle zeigt sie vor allem dann, wenn es um ihre Schüler geht. Wenn sie die vor den eigenen Eltern beschützen muss, wird sie zur Jeanne d’Arc und zur Rettung der Schule ist sie schließlich sogar bereit den eigenen Posten zu opfern.

Die Kühle, mit der sie sich einen Fick für die Nacht besorgt, ist durchaus beeindruckend und wirkt für die eine oder andere vermutlich nachahmenswert. Ach, wäre frau doch nur so abgebrüht. Früher oder später kommt zwar auch bei Rita das eine oder andere Gefühl ins Spiel. Aber mehr in der Form, als es Rita dann wieder normale menschliche Züge verleiht. Rita will oder kann nicht lieben. Sie will auch keine Beziehung. 

Die verwundete Frau

Rita ist das, was Linda Leonard eine „geharnischte Amazone“ nennt. Leonard, eine Psychoanalytikerin in der Tradition Carl Gustav Jungs, beschreibt diesen Frauentyp in ihrem Buch „The Wounded Woman“. Sie ist, wie Leonard* es darstellt, selbst vom Männlichen in sich dominiert. Natürlich braucht und will sie dann auch keinen Mann. 

Von Staffel zu Staffel wird deutlicher, dass auch Rita eine verwundetet Frau ist. Nachdem sie an ihrer alten Schule fliegt, kehrt Rita an die Schule zurück, auf die sie selbst erst ging. Man könnte es auch so sagen: Rita begegnet dem Mädchen, das sie einst war. 

Rita ist eine Art Prototyp. Vielleicht sogar ein Role Model. Weil die Welt voll taffer Frauen ist. Und weil sich hinter taffen Frauen so oft verletzte Mädchen finden. Frauen, die, wie Leonard zeigt, insbesondere an der irgendwie unglücklichen Vater-Tochter-Beziehung leiden, die sie erlebt haben, und die dann alle weiteren Beziehungen (zu Männern) prägt. Es könnten allerdings nicht nur die Beziehungen zu den Vätern schuld sein, sondern auch das, was sie von ihren Müttern gelernt haben. Oder von den Großmüttern. Jenen zum Beispiel, die nach dem Krieg die verstorbenen Männer ersetzten. Manchmal ist der männliche Gestus einer Frau über Generationen erworben. 

Die Wandlung. Eine neue Schule.

Wie geht es weiter mit Rita? Rita legt ihre Lederjacke und ihre Hemden irgendwann ab, und damit auch die Härte. Nachdem sie sich ihrem jüngeren Ich zugewendet und die Not des jungen Mädchens wahr- und aufgenommen hat, kann sich ihr Leben wandeln: Sie geht eine Liebesbeziehung ein. 

Und: Sie gründet eine eigene Schule! Schon während der ersten Staffeln habe ich mich gewundert, wie erstaunlich gleichmütig Rita sich in das konventionelle System Schule fügt. Welche Wohltat hingegen ist alleine schon der Anblick dieser bunten freien Schule, den Rita mit Hilfe einer treuen schrulligen Gefährtin aus den allerersten Folgen der Serie jetzt gründet. 

Das Frauen in Vorstandsetagen die besseren Männer sein müssen, ist ja allseits bekannt. Nur, ob das mehr Raum und Wertschätzung für das Feminine bewirkt? Bei Frauen und Männern? Für Rita besteht die Lösung nicht darin, Direktorin zu werden. Was sie zwischenzeitlich auch mal kurz war. Sondern einen eigenen Ort zu schaffen.

Was für ein schönes Ende der Verwandlung also, die Rita im Laufe der Serie durchläuft. Sie hat einen Ort geschaffen, an dem sie ihre eigenen Regeln machen kann. Ein Ort, an dem sie sie selbst sein kann. Und ihre Schüler*innnen auch. Ein Ort, an dem Rita als fühlende Frau sein kann. 

Und irgendwie erinnert sie mich an Mary Poppins. Die übrigens zu den Frauen gehört, die machtvoll sind, ganz ohne dazu männliche Dominanzgesten zu brauchen. Das kommt im alten Mary Poppins Film noch wesentlich deutlicher heraus als im neuen

Ein Gleichgewicht männlicher und weiblicher Energie braucht diese Welt mehr denn je. 

Es beginnt, wie alles, bei uns selbst. 

*Das Buch von Linda Leonard ist schon etwas älter, aber dennoch sehr lesenswert. Der deutsche Titel lautet: Töter und Väter. Heilung einer verletzten Beziehung.

Kali

ali, du Rästelhafte, Mysteriöse, Furchteinflößende. Zerstörerin, Schöpferin, Erneuerin.
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