Als ich heiratete, blühte der Mandelbaum. Am Abend vor der Hochzeit zog ich den Ring aus, den ich bis dahin trug. Dieser Ring, ein schlichter, schmuckloser Silberring, den du mir geschenkt hattest, ist seit diesem Abend verschwunden. Auch Monate später, als ich die Wohnung ausräumte, kurz vor der Ausreise nach Indien, konnte ich ihn nicht mehr finden.
Es schien, als hätte ich ihn nun eindeutig lange genug getragen. Wir hatten ihn an einem Stand am Bodensee gekauft, an einem Tag, an dem der Blick auf das glitzernde Wasser und die Segelboote darauf mir die Tränen in die Augen trieben. Wie eine feine weiße Stickerei auf blauer Seide. Du hattest einen Rückfall, nur wenige Tage vorher hatten wir davon erfahren. Jetzt versuchten wir uns mit dieser Nachricht irgendwie wieder in der Welt zurechtzufinden.
Ich trug diesen Ring viele Jahre nach deinem Tod. Als eine Erinnerung an die Liebe. Von dir hatte ich mich mit den Jahren nach und nach getrennt. Wovon ich mich aber niemals trennen wollte war diese Liebe, die ich mit dir erlebt hatte, denn sie war viel größer als wir beide und hatte mit uns am Ende gar nicht so viel zu tun.
Wenn der Mandelbaum blüht, jährt sich auch dein Todestag. In diesem Jahr sind es zwanzig Jahre. Ich komme mir alt vor. Oder anders: Wie jung ich damals war. Wie jung wir beide waren. Noch in der Schule, gerade erst volljährig.
Ich wusste, dass du sterben würdest. Ich hatte darauf gewartet. Aber Tod ist nichts, auf das man sich vorbereiten kann, auch wenn man es noch so sehr versucht. Seine Gegenwart ist so radikal, so umfassend, so mächtig, dass alles sich verändert. Alles.
Weiß war dein Tod, weiß wie Schnee, rein und weiß und die Welt in Unschuld tauchend, in gleißendes, strahlendes Licht. Wir kauften damals Sonnenblumen, ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Erst später wurde mir klar, dass es weiße Rosen sind, die für mich am besten passen. Wie kleine Bräute rings um dein Grab. Du warst schon einige Jahre tot, als ich weiße Rosen in den Schnee legte und dir sagte: Es ist Zeit. Ich werde jetzt gehen.
Ich trage den Ring nicht mehr. Aber die Liebe ist noch da. Am Ende bleibt immer die Liebe. Man könnte genauso gut sagen: Am Ende bleibt immer der Tod. Und das wäre genauso wahr. Aber ich habe mich entschieden. Lange schon.
Ein Gedanke zu “Weiß war dein Tod”
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