Ein weiterer Tag in Auroville. Auf einen Kaffee mit J.

Kaffee trinken beim Dreamers Cafe. Vermutlich ist es nach dem „Dream“ benannt, dem Text, der beschreibt, was Auroville ist oder sein könnte: Ein Ort, an dem Menschen in Verbundenheit miteinander leben, unabhängig von Herkunft, Nation oder Religion. Ein Ort für gelebte Utopie.

Es gibt eine große Pinnwand hier im Container-Café, voll mit Angeboten für Workshops, Vorträge, Projekte, Dienstleistungen. Jeden Tag gibt es Dutzende Möglichkeiten zu lernen, mitzumachen, sich einzubringen.

Und es gibt Kaffee mit Cashewmilch. Die Cashews sind jetzt reif in Auroville, gerade erst wurde aufgerufen, bei der Ernte zu helfen. Ich für mich allein. Papa und Kind sind in der wunderschönen kleinen Kita, über die ich unbedingt noch schreiben muss.

J. kommt dazu, begrüßt mich freudig mit einer Umarmung. Ich kenne ihn schon von früheren Besuchen in Auroville. Er käme gerade vom Somatics, sagt er und wirkt ganz frisch und entspannt. Somatics, das ist eine Körperarbeit, die hier morgens angeboten wird. Neben Unmengen von Yoga-Kursen gibt es noch viele weitere körperbezogene Angebote hier. Und in der Schule gibt es ein eigens erfundenes Fach: ATB, Awareness through the Body. Körperbewusstsein, von klein auf. Damit niemand sich von seinen Körperempfindungen trennen muss. Ich denke an die Bundesjugendspiele meiner Kindheit. Schneller, höher, weiter.

J. hat sich ein Croissant und einen Muffin geholt. Erst am Tag zuvor stand er um kurz nach 8 bei uns in der Küche des Gästehauses. Was machst du denn hier, fragten wir. Er wohne um die Ecke und käme gerade vom Yoga, sagte er: Ich dachte, hier will vielleicht jemand zum Matrimandir zum Meditieren mitkommen.

In den Tempel von „The Mother“, der Aurovillegründerin, zu kommen ist nicht so leicht. Das runde, goldene Gebäude, Golfball genannt, ist das Wahrzeichen der Gemeinschaft und ein Touristenmagnet. Man muss sich Tage zuvor anmelden, kommt nur in Gruppenführungen hinein und muss dann schnell wieder hinaus. Wir haben das bei unserem ersten Besuch hier mitgemacht. Es ist beeindruckend. Nicht, dass man eine Kapelle aus weißem Marmor zum Meditieren bräuchte. Man braucht gar nichts zum Meditieren. Trotzdem, es ist beeindruckende Architektur, umgeben von einem Park, in dem ein riesiger Banyan-Baum steht. Ein Tempel der Natur.

Im Inneren in der goldenen Kugel ist es tatsächlich still. Im innersten ist es noch stiller und alles ist weiß: Wände, Teppiche, Sitzkissen. Ein vollkommen weißer runder Raum in dem Menschen reglos sitzen und meditieren. In der Mitte des Raumes eine Kristallkugel, auf die Sonnenlicht fällt. Dieses Spiel der Sonne ist Symbol für die Manifestation der Zukunft, die Realisierung der Utopie.

Um diesen weißen Raum herum sind weitere Räume in Farben: blau, rot orange. Jede Farbe ist einer bestimmten Qualität zugeordnet: Dankbarkeit, Harmonie, Frieden, Demut. Auch dort kann man meditieren, je nachdem, was man gerade in sich entwickeln möchte.

J. setzt sich zu mir und erzählt von seinem Leben. Er stammt aus Ecuador, hat Tango tanzen in Buenos Aires gelernt. Für Freiburg hatte er ein Stipendium, dass er aber nie antrat. In China hat er gelebt, sechs Jahre. Nach Indien kam er dann um sich zu erholen. Jetzt ist er seit 10 Jahren hier. Wird er bleiben? Er zuckt mit den Schultern. Er ist Aurovilian, Bürger von Auroville.

Die letzten Monate war er nicht viel hier, meint er. Er war in Chennai, Bangalore. Viele hier gehen für einige Monate weg, um Geld zu verdienen, zum Teil zurück in ihre Heimatländer. Wenn es richtig heiß wird und im Anschluss an die Hitze der Monsun kommt, ist in Deutschland vergleichsweise milder Sommer. Also geht man zurück, jobbt, besucht die Familie. Auch in Auroville muss man von irgendetwas leben und die vielen Freiwilligen verdienen nichts, erhalten kaum mehr als Kost und Logis.

J. geht nicht zurück nach Ecuador. Er hat in Indien genug Arbeit. Er ist Ingenieur. Er hat eine Farm. Und er hat eine eigene NGO. Open Source Technology, irgendwas mit 3D Druck. Vorher hat er für die UN gearbeitet, er kennt sich aus. Wenn du eine Idee hast, ist es recht einfach, meint er. Es scheint sie also zu geben, hier in Auroville, die offenen Räume. Man kann etwas verwirklichen. Die indische Regierung ist interessiert an Auroville. Sie gibt Geld. Denn sie weiß, wieviel Innovation hier entsteht. Und sie weiß auch, dass hier dokumentiert wird, wohin das Geld fließt, sagt J.

Diese tolle Architektur, sage ich zu J. Wie haben sie es geschafft, diese tollen Gebäude hier hinzustellen?

Bis vor kurzem war Bauen in Indien nicht teuer, sagt J. Ich nicke. Das leuchtet mir ein. Trotzdem finde ich es extrem beeindruckend. Dass jemand durch viel Meditation und Zeit in der Stille sich spirituell weit entwickelt, ist das eine. Das aber in dieser Größe und Form zu materialisieren ist nochmal etwas anderes. Der Schwiegersohn von Mira sei Architekt gewesen, raunt J. mir noch zu. Ich habe noch nie gehört, dass sie Mutter war. Obwohl sie natürlich „The Mother“ genannt wird.

Weißt Du, was die größte Einnahmequelle hier ist, fragt mich J.? Der Parkplatz! Wir lachen. Ja, Auroville ist ein Besuchermagnet. Gut so! Mögen sich alle alle davon inspirieren lassen, wie man ein wesentliches, nachhaltiges, bewusstes Leben führt.

Wir essen unsere Croissants auf und trinken den Kaffee aus. Wir müssen los. Ich bin schon spät dran zur Praktika. J. hat auch irgendetwas zu tun. Er ist im Organisationsteam des Festivals, es gibt dauernd was zu tun. Sie organisieren sich über whatsapp. Wer gerade in der Nähe ist und Zeit hat, übernimmt den Job.

Eine schnelle Umarmung, dann bin ich auf den roten Wegen unterwegs auf meinem ebike.

Ach Auroville, ich werde dich vermissen.