Der Lock-Down ist (vorerst) vorbei, das Mädchen geht ab nächste Woche wieder regulär in den Kindergarten. Und ich bin, wie viele Mütter und Väter es jetzt wohl sind, erschöpft.
Trotz der wirklich restlos guten Bedingungen, die wir haben, trotz eines Mannes, der pünktlich zum Beginn des Lock Downs seine Arbeitszeit reduziert und mit dem eine Arbeitsteilung möglich war, nahe an fifty-fifty. Ich bin erschöpft und weiß nicht genau wovon. Natürlich von den fehlenden Pausen, vom Halten der Gefühle aller Beteiligten. Von den Sorgen und Ängsten, vor allem in den ersten Wochen der Pandemie, als noch nicht klar war, was da auf uns zukommen würde. Von der um sich greifenden Wut, vom Nicht-Wissen, von der Unsicherheit, von dem Gefühl einer Zeitenwende, die keiner kennt und von der keiner weiß, wohin sie führt. Von dem Aufbrechen all dieser versteckten Fäulnis unserer Gesellschaften, die diese Pandemie zum Vorschein bringt. Von einem neuen Jetzt, von dem keiner weiß, wie lange es dauert und was als nächstes kommt.
Und doch hielt diese Zeit viel Gutes für uns bereit, das zusammen mit den Beeren reif wurde, die das Mädchen nun im Garten pflückt, und das nun gerne bleiben darf: Das Verlangsamen. Die Verbundenheit mit Menschen weltweit durch eine Reise, die mich stets ermunterte, auf das zu schauen, was sich öffnet, was sich weitet, was entsteht. Unser wöchentlicher Solidarity Circle, in dem wir einmal mehr herausfanden, wie bedeutungsvoll es ist, einen liebevollen inneren Dialog zu kultivieren.
Denk nur, was aus diesen einfachen Dingen und kleinen Bewegungen erwachsen kann: Verlangsamung, globale Resonanzräume, ein bewusster innerer Dialog. Ein anders Verankern im Jetzt und in der Welt, mehr Zeit zu fühlen – sich selbst, die anderen. Und wenn Zeit zu Fühlen ist: Weniger Reaktivität aus Gefühlen heraus, die niemals Raum hatten und deswegen agiert werden.
Der ganze Konsum, die Reiserei, mehrmals im Jahr, die an Objekte und Erlebnisse geknüpften Bedürfnisse, – Privilegien, auf die wir meinen, ein Recht zu haben. Die Institutionalisierung und Termingebundenheit des Alltags, in der wir feststecken, und unsere Kinder mit uns.
Was, wenn wir auf all das verzichten? Oder auf einen Teil davon? Wir wären mehr an einem Ort und vielleicht tiefer mit ihm verbunden, wir wären mehr in Beziehung, wir wären anders in Kontakt, mit uns, und den anderen – wenn wir uns darauf einließen. Es wäre mehr Raum für Weh und mehr Raum für Freude. Wir müssten weniger kaufen und weniger tun und weniger wegfahren und überhaupt – weniger, weniger, weniger. Und dafür mehr Leben. Leben, das nicht zu managen und organisieren ist, sondern gefühlt, empfinden, gespürt wird.
Und während ich darüber nachdenke und in der Küche hantiere, zerrupft das Mädchen mit den zwei Nachbarskindern Klopapier, bäuchlings auf dem Bett werfen sie es auf den mit Spielsachen übersäten Boden und rufen begeistert: Mama, wir füttern die Fische!
Nach den ersten Wochen, in denen wir uns alle streng isolierten, erlaubten wir diesen Kindern im gemeinsamen Garten zu spielen, vereinbarten Zeiten, in denen jeweils ein Erwachsener, eine Erwachsene verantwortlich ist. Und jetzt? Jetzt sind zwischen diesen Kindern Beziehungen entstanden. Sie stehen vor der Tür, kaum dass wir nach Hause kommen, rennen einmal durch die Wohnung und auf der anderen Seite wieder hinaus in den Garten. Sie setzen sich ganz fraglos an den Tisch, der gerade gedeckt wird, egal in welchem Haus er steht.
Und das vielleicht überraschendste daran ist, wie sehr es mich glücklich macht, das zu sehen. Zu sehen, wie die kleinen Münder sich mit Kirschtomaten und Erdbeeren füllen, wie kleine Füße in unser Bad gehen und sich die Hände waschen, wie sie ihre Spuren hinterlassen, Spielzeug vergessen, Kleider und Fahrzeuge.
Zugehörigkeit, sagt Renz-Polster gehört mit Sicherheit und Anerkennung zu den wichtigsten Dingen, die Kinder brauchen. Vielleicht ist es das. Und nun verstehe ich noch besser, welcher Schmerz es war, den das Mädchen (und ich) nach unserer Rückkehr aus Indien fühlte: Es war Verlust, ja, aber Verlust nicht nur von Beziehung, sondern von Zugehörigkeit. Der Schmerz, nicht mehr und noch nicht wieder dazuzugehören.
Und eigentlich, ja eigentlich wünsche ich mir so ein Leben, ein Leben mit weniger Institution und mehr Beziehungen. Ein Leben, in dem Zeit so selbstverständlich da ist wie die Apfelbäume im Garten stehen. Ein Leben, in dem es ein Kreis von Erwachsenen ist, der sich kümmert. Ein Leben, das allen Zugehörigkeit ermöglicht. Ein Leben in dem Strukturen flüssig und durchlässig sind, in dem wir beweglich durch den Fluss des Lebens schwimmen wie Fische im Wasser, zu einem Schwarm gehörend, der immer neue Formen und Gestalten in die Fluten hinein entwirft.
Das, hoffe ich, ist, was vom Lock Down bleibt.
Theresa sagt:
Liebe Anka, vielen Dank für das Teilen Deiner Gedanken, Erlebnisse, Gefühle, Deiner Worte und schönen Bilder! Viele Empfindungen teile ich und beim Lesen fühlt es sich an, als würden sie etwas von Ihrer Verwirrtheit verlieren und mehr Halt bekommen. Danke, Theresa
Juli sagt:
Liebe Anka,
danke für die Einblicke in euer Leben, ich mag deine Art davon zu berichten sehr! Auch ich fände es schade, wenn du aufhören würdest hier zu schreiben.
Viele Gedanken kommen mir bekannt vor, aber ich könnte sie nicht so gut in Worte fassen wie du. Danke dafür!
ankafalk sagt:
Danke Dir! Diese Rückmeldungen sind so wertvoll!