Eine Kinderfreundschaft.

The Kids don’t play with me, sagt das kleine Mädchen, das nicht in die neue Kita will. Und ich habe mir schon so was ähnliches gedacht. Sie wirkt noch ein wenig verloren, wenn ich sie abhole, und wenn es nicht gerade einer der Tage ist, an dem die R. mit ihr Prinzessinnenkleider anzieht, aus Disenyfilmen, die sie nicht kennt. Sie spielt allein.

Auch auf den Spielplätzen spielt sie allein, sie hat noch keine Freunde hier. Und sie vermisst ihre Freunde aus Indien so sehr, dass ich den Schmerz spüren kann, als würde ich mich ständig und immer wieder verbrennen. 

Die Kinder verstehen sie nicht, denn sie spricht Englisch. Die Kinder verstehen nicht, dass sie mit ihnen spielen möchte, aber es nicht mag, wenn man ihr zu schnell zu nahe kommt. Die Kinder sind eben noch Kinder und keine Freunde.

Wenn ich mit ihr spazieren gehe, sieht sie sich um, ruft ihrem kleinen Freund hinterher, der nicht da ist, ihr Freund Mani* aus Indien, mit dem sie dort tagein-tagaus spielte und stritt. Mit dem sie eine eigene Sprache erfand aus den drei oder vier Sprachen, die sie beide in ihren Familien hörten, Englisch, Hindi, Punjabi und Deutsch. Und der sie, ganz zum Schluss, wenige Tage vor der Abreise, fragte, ob sie ihn heiraten möchte.

Eine Kinderliebe, ich weiß, aber wer hätte gedacht, wie tief die gehen kann, schon bei Zwei-Drei-Jährigen? Ich nicht. Ich wusste es nicht, aber das lag vielleicht auch daran, dass mir das hier gar nicht möglich scheint, hier, in Deutschland, wo alle so beschäftigt sind, wo es so viel zu tun gibt, so viele Möglichkeiten. Allein in unserem Quartier gibt es ein halbes Dutzend Spielplätze, während wir vorher nur den einen hatten, der in der ausgedörrten Wiese in der Hitze glühte und eben nur diese eine Nachbarsfamilie, mit der wir in ein tribe life hineinfanden, in einen geteilten Alltag, wie in einen geheimen bunten, bald aber wohlig vertrauten Garten.

Aber ach, was sind schon Spielplätze, wer braucht sie schon, wenn man nur Freunde hat, einen kleinen Freund, der schon morgens um halb acht zur Tür hereinspaziert, fertig angezogen, die schwarzen Haare nass gekämmt, so dass man noch die Rillen auf dem kleinen Kopf sehen kann, die der gezackte Kamm dort hinterließ, der fragt, ob das Mädchen fertig ist, ob sie gegessen hat, der ihre Kisten mit Spielzeug über ihrer beider Köpfe ausleert und lacht und gluckst vor Vergnügen.

Dieser kleine Freund ist nun nicht mehr da, und ich kann erahnen, wie sehr er dem Mädchen fehlt, ungefähr so, wie mir die Nachbarin, nur dass ich schon mehr Verlust gewohnt bin in meinem schon längeren Leben.

Romantisier das mal nicht so, sagt der Mann und natürlich hat er recht. Romantisch war es nicht. Die beiden haben sich gestritten bis aufs Blut, manchmal waren sie innerhalb von Sekunden ineinander verbissen, hauten sich, schrien sich an.

Aber es verging kein Tag, an dem sie sich nicht sahen, die wenige Tagen, an denen wir oder die Nachbarn verreist waren mal ausgenommen. Zwischen den beiden war über einen Zeitraum von ein, zwei Jahren etwas gewachsen wie eine Pflanze, die man zwar bisweilen an den Blättern zieht, aber beharrlich gießt. Beziehung.

Sie zogen von unserem zum Haus der Nachbarn und zurück. Sie aßen bei uns Pasta mit Besteck am Tisch und bei den Nachbarn Chapati mit den Händen auf der Matte und ein paar Mal vor einer Imbissbude heiße, noch dampfende Pungulu, auf Zeitungspapier serviert. Sie duschten dort mit dem Eimer und badeten hier in einer kleinen Wanne. Sie spielten hier und tanzten dort. Sie feierten Weihnachten und Diwali. Nur wenig fehlte und sie hätten auch die Nacht miteinander verbracht und wären wir geblieben, es wäre bald soweit gewesen.

Und wir, die Erwachsenen, staunten, denn wer hätte ahnen können, dass schon Zweijährige so innige Beziehungen aufbauen können? Geschwister, ja, aber das waren sie ja nicht. Es war möglich, weil wir so lebten, wie wir lebten, weil unsere Welt so klein war: das Haus, der Spielplatz, der Pool und die Kichererbsenfelder, die Seen mit den Pelikanen und die sandigen Wege mit den Affen und Pfauen, die Mangofelder auf denen wir die heruntergefallenen Früchte einsammelten, die Wege auf denen die Kinder Laufrad fahren lernten und auf denen außer den Feldarbeiterinnen und der Security kaum jemand unterwegs war.

Verheiratet sie, sagten die Großeltern des kleinen Mani. Macht es gleich jetzt fest. Die Hochzeit kommt dann später. Und wir lachten, weil wir wussten, sie meinen das ernst, und weil wir wussten, das kommt natürlich überhaupt gar nicht in Frage.

Das kleine rote Laufrad, übrigens, es blieb dort, für den kleine Mani. Laufräder gibt’s nämlich in Indien noch nicht, das hölzerne, das wir in Auroville fanden und das gerade mit dem Schiff hierher unterwegs ist, mal ausgenommen.

Die Nachbarin sagt, der kleine Mani hüte das rote Rad. Er passe auf, dass niemand es je berühre. Es sei das Rad des kleinen Mädchens, sage er, und er bewahre es für sie auf. Denn eines Tages, da ist der kleine Mani sich sicher, kommt seine kleine Freundin zurück. 

*Name geändert

0 comentarios sobre “Eine Kinderfreundschaft.

  • Katharina sagt:

    Das berührt mich sehr. Hail to the friendship. She will always have this experience as a part of her.

  • Shelly Patwar sagt:

    Awe ANKA, I am crying right now. I feel so sad for both of them. They both are actually behaving the same way even they are miles apart, but their hearts are still with each other. Whenever Mani see his girl’s picture he asks when she will be back. He looks at the old pictures instead of watching his favorite cartoons on the phone. When she calls his name there he sometimes says my girl is calling me Papa. I hope they meet soon to cherish their small world of friendship again. Our little world is incomplete without the little stories they made everyday. Lots of love to our girl and family from Mani and family.

  • Ach ja..ich kann Dir, ihr, so nachfühlen…ich vermisse auch..aber auf die ” erwachsene” Art und Weise. Meine kleinen Jungs vermissen..und es bricht mir das Herz..es gehört zum Leben dazu, es ist eine Erfahrung. Doch trotzdem schmerzt sie. Mich und sie.

    Und doch..ich bin dankbar wieder hier zu sein. In Deutschland sein zu dürfen…
    Würdest Du zurück wollen?
    Jetzt mit dem Erleben der anderen Welt zurück in Deutschland?

    Ganz liebe Grüsse
    Lina

    • Nein ich würde nicht zurückwollen. Es ist richtig so. Und trotzdem schmerzt es eben. Ganz liebe Grüße, Anka

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