Das rhythmische Schleifen des Besens gehört zu den typischsten Geräuschen meines Alltags hier in Indien und ich höre es auch jetzt während ich dies schreibe. Jeden Tag werden die Straßen gefegt, jeden Tag aufs Neue. Mit kurzen Reisigbündeln, in gebückter und doch erstaunlich gerader Haltung. Good morning Madam, Good morning Sir hat uns eine der Straßenkehrerinnen, eine zierliche Inderin in einem einfachen Arbeitssari und einigen Armreifen am Handgelenk jeden Morgen fröhlich zugerufen. Ihr freundliches Grüßen fiel uns auf, ebenso wie der monotone Charakter ihrer Arbeit:
Jeden Tag dieselbe lange Straße. Jeden Tag wieder neues Laub, neuer Staub, neuer Schmutz, der wegekehrt werden will, mit Besen, Kehrblech, Eimer. Aus dem morgendlichen Gruß wurden allmählich kleine kurze Gespräche und irgendwann suchten wir jemanden der uns im Garten hilft und die Straßenkehrerin suchte nach einer Möglichkeit, dazu zu verdienen, weil ihr Sohn nun auf eine höhere Schule geht. Höher sind auch die Schulgebühren und für diese Schulgebühren gießt Kavita nun drei Mal in der Woche für eine Stunde unseren Garten und fegt, auch hier, mit unermüdlicher Geduld und Gleichmut.
Madam, can I get banana leaves fragte Kavita mich vor einigen Tagen. Natürlich sage ich. Aber wozu denn? Ich weiß, dass man von den riesigen großflächigen Blättern der Banane in bestimmten Regionen Indiens isst. Hier bei uns ist das aber nicht so üblich. Obwohl es ja so herrlich umweltfreundlich wäre! Kavita aber will die Blätter für ein Puja, ein hinduistisches Gebetsritual. Denn am Wochenende wird geheiratet in ihrer Familie und dazu gehören eine Menge Pujas. Die Tochter vom Bruder ihres Mannes heiratet und wir bekommen eine riesige Einladung mit einem bunten Ganesha drauf und einigen anderen Göttern.
Als wir am späten Sonntagvormittag die Halle betreten, in der die Hochzeit schon eine Weile vor sich geht, springt Kavita von der Bühne, auf der sie mit anderen Frauen sitzt, in der Nähe des Brautpaars. In einem blau-türkis schillernden Sari, golden glänzenden Ketten und Ohrringen und Armen voller glitzernder Armreifen kommt sie uns entgegen. Ihre Freude ist sichtlich groß, dass wir tatsächlich gekommen sind. Und tatsächlich sind wir auch gekommen, weil ich sehen möchte, wie diese Frau lebt, die bei uns die Straße kehrt. Ich lerne ihren Mann kennen, ihre Söhne und etliche andere Leute werden mir vorgestellt. Wir gratulieren dem Brautpaar und streuen Reis über die Köpfe des frischgetrauten Paares, das nun auf der Bühne einen langen Zug von Gratulationen entgegennimmt. Englisch sprechen nur wenige.
Nachdem die meisten Männer gegessen haben, holen sich auch die Frauen das frisch auf dem Hof gekochte Essen. Kavita bringt volle Papierteller mit Dal, Reis, Okraschoten. Ich frage vorsichtig nach ihrer Ehe. Er sei ein guter Mann, sagt sie, und das sei ein Glück, denn habe man einen guten Mann, könne man viele Probleme viel einfacher lösen.
Später, als wir schon wieder nach Hause fahren wollen, steigt Kavita mit in unser Auto. Ihr Mann fährt mit dem Motorrad voraus. Sie werden mir zeigen, wo ihr Zuhause ist, nur wenige Minuten entfernt. Small cottage only, sagt Kavita.
Wir halten vor einem Tor, das zu einem kleinen betonierten Hof führt, anlässlich der Hochzeit ist er mit einem hübschen farbigen Stoffdach versehen, das mich an eine Bonbonverpackung erinnert. Im Hof ist eine kleine Tulsipflanze in ein gefliesstes gelbes Kästchen eingehegt, ein Öllämpchen brennt darin. Das Haus hat zwei Räume und eine winzige Küche, die Toilette liegt auf dem Hof in einem extra Hüttchen. In den beiden Zimmern nehmen zwei größere Holzbetten mit gedrechselten Beinen den meisten Raum ein, eines für das Paar, eines für die beiden Söhne. Die Wände sind rosa gestrichen, in einem kleinen Aquarium schwimmen ein paar Fische, ein großer Kühlschrank summt. An der Wand hängt ein kleiner Behälter mit Zahnbürsten, an einer anderen einer mit Kugelschreibern. In einem Lagerraum sieht man im Regal gestapelte Tücher und Kleider. Eine Tür führt zu den Wohnräumen des Bruders und seiner Familie. Dort wurde das Puja fürs Brautpaar abgehalten, Kavita zeigt mir die Krüge, die noch am Boden stehen und das Ohm-Zeichen an der Wand. Ich gebe ein paar entzückte Laute von mir. Wir haben auch Gott bei uns, sagt Kavita. Wir gehen zurück in ihren Wohnraum, ihr Mann entzündet ein Öllämpchen und beide zeigen mir den Schrein mit den Götterbildern. Nicht nur einen Gott, viele, sage ich und Kavita lacht. Welcher ist dir der liebste, frage ich, und sie zeigt auf Shiva. Weil heute Shivas Tag ist, fastet sie heute, was so viel heißt wie dass sie weder Fleisch noch Ei isst, die indische Version vegetarischer Kost. Einen Fastentag pro Woche machen viele Inderinnen und Inder in unterschiedlicher Weise, für ihre Lieblingsgötter.
Es ist ein einfaches, aber behagliches Zuhause, dieses kleine Haus mit den rosa Wänden und ich freue mich, zu sehen, wie sie lebt, diese Frau, die mit solcher Geduld die Straße fegte. Inzwischen hat sie den Job gewechselt: Jetzt ist sie an der internationalen Schule, wo schon ihr Mann als Hausmeister arbeitet. Da gibt es bezahlte Ferien und eine Krankenversicherung. Better, sagt sie. Unseren Garten fegt sie auch weiterhin.
Charles sagt:
Sehr schön, sehr interessant, dieser Einblick in die indische Eelt. Ich war noch nie in Indien, aber je mehrbich darüber lese, umso reizvoller scheint mir eine Reise dorthin.
ankafalk sagt:
Dankeschön! Ja, Indien ist eine ganz andere Welt. Sie ist so vielfältig und komplex und auch flächenmäßig groß, dass ich hier wirklich nur ganz winzige und subjektive Einblicke geben kann in das, was ich erlebe. Man kann Indien auf so viele tausende Arten erleben.