Der Januar riecht nach Chai, viel zu süßem Chai, den Krishna mir am Tor zum Campus der Kita überreicht und sagt: tomorrow I bring it card. Nach dreimaligem Nachfragen verstehe ich: Es geht um die Hochzeit seiner Tochter und morgen kommt die Einladung.
Dieser viel zu süße Chai an diesem für Indien viel zu kalten Januarmorgen – sieben Grad nur in der Nacht – erinnert mich an einen anderen Chai, den mir Krishna einmal brachte und der nach Safran schmeckte. So wie übrigens auch der Januar nach Safran schmeckt, denn ich mache Safranbrötchen für die Brotbox des Mädchens und Blumenkohl mit Safran und in beides viel zu viel davon, so dass der Mann die Nase rümpft und das Mädchen den Teller von sich schiebt und mir ganz gelb wird.
Dieser Chai mit Safran jedenfalls war der beste den ich jemals trank, von Krishnas Lieblings-Chai-Stand in Gachibowli. Ich war gerade auf einem hinduistischen Housewarming Ritual gewesen, Stunden mit Trommeln, Mantren, riesigem Feuer im Wohnzimmer und Zeremonien mit Reis, Kokosnüssen, Räucherstäbchen, Palmenblätter, Öllämpchen und ich fühlte mich wie ein Yogi, der beim Meditieren ein paar Zentimeter vom Boden abhebt und brauchte dringend etwas, um mit den Füßen wieder auf der Erde zu landen. Krishna, sagte ich, I need Chai. Der Chai half. Oder vielleicht war es auch der Safran.
Seit das kleine Mädchen bei der Nachbarin einen Zwieback in den Chai stippen durfte ist sie verrückt nach dem süßen Trank, also riecht der Januar nach warmer Milch mit Zimt und Kardamom, in der Chaitasse serviert.
Der Januar riecht nach Rote-Bete-Kompucha, im Sektglas gereicht beim Bioladen meiner Wahl, von dem ich jede Woche eine große Kiste Gemüse kriege, nur in Papier verpackt zu meinem großen Glück. Dieser Bioladen jedenfalls hat Großes vor und ein Konzert organisiert mit High Tea, kein gewöhnlicher Chai also sondern Häppchen, alles in kleinen Portionen und nur vom feinsten. Dazu als erstes Rote-Bete-Compucha und dann für mich Kaffee mit einer sehr extravaganten Milchvariante aus Sonnenblumenkernen und Kokosmilch. Während ich am Sektglas nicke vergieße ich ein paar Tränchen denn ein Orchester marschiert auf und spielt Grieg. Musik aus meiner Kultur! Beinahe habe ich vergessen wo ich herkomme, aber jetzt weiß ich es wieder. Für einen Moment vergesse ich, wie eine indische Großstadt riecht und lausche.
Der Januar riecht nach den ersten von mir selbst gemachten Dosas. Die Küche raucht, sie haben zu wenig Salz, aber man kann sie essen. Diese hauchdünnen indischen Pfannkuchen sind aus nichts als Reis und Urad Dal, auch Linsenbohne genannt, ohne die schwarze Haut. Der Teig wird über Nacht fermentiert, mit Kokoschutney, scharfer Sambar-Gemüsesuppe und Kartoffelfüllung serviert.
Vor allem aber hat der Januar diesen unvergleichlichen Duft nach tribe life, nach einem Leben, in Bezügen weit über die Mauern unseres Hauses hinaus. Wer kam überhaupt auf die Idee, dass Häuser Mauern brauchen? Dass Menschen ihr Leben in Institutionen verbringen sollten? Dass Kinder allein Vater und Mutter brauchen?
Tribe life macht glücklich, weil Lebensfäden sich verweben wollen und das tun wir in diesem Monat und das Netz aus den Fäden wird immer dichter und bunter und trägt. Tribe life, ich bin mir sicher, ist ein Geruch nach dem es eine große Sehnsucht gibt auf dieser Welt. Und er meint sicher nicht, dass nur Gleiche sich mit Gleichen mischen. Tribe life entwickelt seinen wunderbaren Duft vor allem dann, wenn Chai und Haferkaffee von der einen Hand in die andere wandern und Kinder aus Hindi, Englisch und Deutsch ihre ganz eigene Sprache erfinden, glücklich, dass niemand sonst sie versteht. Glück, allerdings, wird überall auf der Welt verstanden. Und es beginnt hier, direkt vor der Tür.
Dieser Text ist eine Replik auf die wunderbaren monatlichen Geruchsberichte von readonmydear. Ihr Januarduft findet sich hier.