Die ganze Zeit denke ich an dich, sagt die Nachbarin und sieht mich traurig an.
Unser tribe life, unser geteiltes Familienleben ist etwas sehr besonderes, sage ich und umarme sie.
Es ist nicht nur das, sagt sie. Es geht auch um dich. Du bist was besonderes für mich.
Und darauf weiß ich nichts zu antworten.
Am Abend zuvor haben wir unsere Nachbarsfamilie mitgeteilt, dass wir gehen werden. Wir haben sie gebeten auf dem Sofa Platz zu nehmen und sie haben sofort verstanden, dass wir ihnen etwas sagen wollen. Wenn das Jahr seinen Höhepunkt erreicht, werden wir Indien verlassen. Und dann haben fast alle geweint.
It will be for something good, sagte R. Haben wir nicht erst gestern darüber gesprochen?
Und es stimmt. Ich hatte ihnen die Geschichte meiner ersten Schwangerschaftstage erzählt, in denen ich – oder das kleine Zellwesen? – unsere erste Reise innerhalb Indiens sprengte. Die Freundin, die mit uns reisen wollte, fuhr alleine nach Kodaikanal. Und fand die Liebe ihres Lebens. Man weiß nie wozu etwas gut ist, hatten R. und S. gesagt.
Gestern erst, sagte die Nachbarin, habe ich zu R. gesagt: Wir haben nichts gemeinsam. Wir haben nicht dieselbe Haut, nicht dieselbe Sprache, nicht dasselbe Essen, nicht dieselbe Kindheit, nicht dieselbe Religion, nicht dieselbe Leben. Nichts haben wir gemeinsam. Und doch verstehen wir uns fast ohne Worte, auf ganz selbstverständliche Weise. Wir diskutieren nicht, wer sich kümmert, wenn ein Kind schreit, denn dann ist schon einer aufgestanden. Wir bringen Essen von hier nach da. Und wir betreten das Haus des anderen, ohne anzuklopfen. Für die Kinder ist aus zwei Häusern ein Haus geworden. Dass man bei euch mit Besteck ist und bei uns ohne, dass man Dinge hier anders macht als dort ist für sie normal. Wenn deine Tochter bei uns Pipi macht, schreit mein Sohn nach dem Klopapier, obwohl wir nie welches benutzen.
Weißt du was ich gelesen habe, sage ich zur Nachbarin. Wenn Kinder keine gemeinsame Sprache sprechen, erfinden sie ihre eigene. Wir sehen das jeden Tag bei unseren Kindern, wie sie sich ihren eigenen Code schaffen, Worte aus den Sprachen des anderen übernehmend.
Sie werden sich später an nichts erinnern, sagt die Nachbarin und zeigt auf die beiden Kleinen. Es ist ein Geschenk, dass wir ihnen machen dürfen, sage ich. Wie und wann sie es auspacken, entscheiden sie ganz alleine.
Und vielleicht werde ich das später auch einmal sagen. Vielleicht werde ich einmal sagen, dass Indien mir nie näher kam als im Haus dieser Familie, in dieser Küche, in der ich lernte Chapati zu machen, in den Armen dieser Frau, die mir nach Jasmin duftendes Tonikum und Zehenringe schenkt, die so anders ist als ich und von der mich doch nichts trennt.
Frau Lenk sagt:
Wie. schön.
ankafalk sagt:
Danke 🙂
Lina sagt:
Hui…klingt schön und traurig. Ich kann mir vorstellen, dass euch gemischte Gefühle umtreiben. So nah vorm Gehen. Mir geht es so. Am 6.7 verlassen wir Rumänien und gehen zurück nach Deutschland. Indien hat euch geprägt — verändert. Habt ihr Bedenken, wieder in Deutschland anzukommen? Reinzupassen? Oder überwiegt die Freude auf das gewohnte und vermisste Wertesystem? Es sind persönliche Fragen- ich weiss. Mich treiben sie um. Ich freue mich auf unsere Rückkehr, bin aber auch gespannt und besorgt. Vor allem wegen meiner Kinder. Und wir haben hier tolle Menschen kennen lernen dürfen. Die werde ich vermissen.
Ganz liebe Grüsse Lina
ankafalk sagt:
Liebe Lina
Da gehen wir ziemlich zur selben Zeit wieder zurück.
Ich bin im Moment nochmal ganz hier eingetaucht, zwischendrin ist aber die Vorfreude groß. Ich bin doch in meinem Alltag recht limitiert hier aus verschiedenen Gründen. Die Umweltverschmutzung wird zunehmend zu einer großen Belastung. Ich freue mich auf Wald, Wiesen, einen Himmel an dem man Sterne sehen kann und Seen, in denen man baden kann. Ach, ich könnte eine lange Liste machen. Ich weiß, es wird eine Umstellung nach vier Jahren Indien. Es wird dauern, aber es wird auch nochmal sehr lehrreich werden, wie ich D jetzt wahrnehme. Ich bin gespannt. Und auch erleichtert.
Lina sagt:
Hallo
erleichtert sein klingt gut. Wie privilegiert wir sind, dass wir
“ zurück “ gehen dürfen. Ich wünsche Dir noch eine ganz tolle restliche Zeit in Indien .Voller schöner Momente!
Liebe Grüße Lina
ankafalk sagt:
Ganz lieben Dank! JA, sehe ich auch so, wir sind extrem privilegiert. Und auch Euch eine ganz schöne letzte Zeit bis es zurückgeht!
Bettina Luther sagt:
Hallo Lina, ich wünsche Dir eine gute Heimreise und von Herzen für Dich schönes Heim/ Nachhausekommen
Bettina aus Karlsruhe
Gerne hätte ich deinen Blog gelesen!
In unserem kleinen Dorf fühle ich mich wohl und geborgen, dennoch erfahre ich sehr viel über die Blogs von einem Leben in fernen Ländern, Dankeschön!
An einem wichtigen Scheidepunkt meines Lebens habe ich mich für meine Heimat entschieden und darf nun auf diese Weise an fremden Ländern teilhaben
ankafalk sagt:
Schön, dass Du auf diese Weise ein bisschen teilhast an unseren Leben in der Fremde! Und es klingt, als hättest Du für Dich stimmig entschieden! Heimat ist auch etwas sehr kostbares…