Noch ein Sonntag in Indien. Viele werden es nicht mehr werden. Tatsächlich passen sie jetzt in eine Hand. Seltsam surreal ist das. Plötzlich scheint alles flüssig zu werden in mir. Und auch um mich herum. Alles ändert den Aggregatzustand.
Von einer Welt in eine andere zu ziehen ist nichts, was man irgendwie vorwegnehmen könnte. Man kann nur durch die flüssigen Tage schwimmen, hindurchtauchen wenn es nötig werden sollte.
Ein gewöhnlicher Sonntag also, ein bisschen Langeweile. Frühstück und ein erstes Bad im Pool. Danach Familienherumgelungere, ein Schläfchen. Mangos, viele viele Mangos. Mangosaft an Mündern und Händen und Mangokuchen.
Nachmittags fährt der Mann alleine zum Tango. Eigentlich wollten wir zu dritt gehen, aber die letzten Male rannte das Mädchen von einem zum anderen, keiner konnte tanzen und es war anstrengend. Also bleibe ich mit dem Mädchen, denn so kann wenigstens einer tanzen.
Wir gehen nach den Nachbars schauen, sitzen dort auf dem Sofa, während Chai getrunken wird, fragen uns warum wir alle gerade schlecht schlafen. Die Kinder streiten. Wir seufzen ein wenig. Es dauert immer eine Weile, bis sie in einen Flow finden. Wir spielen Ball vor dem Haus, rennen über den Tennisplatz. Ich gähne.
Und dann ein Einfall und ein spontaner kleiner Ausflug, als es schon dunkelt. Streetfood essen. Wie anders ist Indien, sobald wir unseren Kichererbsencampus verlassen und von der großen Straße abbiegen. Die Straßen voll und eng. Lichter und Lärm. Nackte Hühner und Lämmerbeine liegen da auf Tresen, in einem gliterzenden Geschäft ein Gedrängel um Bangles und Schmuck. Eine Frau verkauft Gemüse, am Straßenrand sitzend. Und dann ist da dieser Mann mit seinen evening snacks, auf die wir es abgesehen haben. Alle im Auto jubeln, weil sein Laden offen ist. Die Theke ist voller Gläser mit Chutney. Macht er alles selbst, behauptet die Nachbarin.
Wir kriegen in Teig gehüllte Chilischoten und kleine frittierte Bällchen, Punugulu. Wir stippen sie in Salz, mit Koriander gemischt. Eine Gruppe von alten Männern, alle in weißen Hemden, die ein schönes Licht auf die faltigen Gesichter werfen. Milde sehen sie zu uns herüber. Einer versucht dem Mädchen die Hand zu geben, aber das Mädchen ist geübt, ungewünschten Körperkontakt mit lauter Stimme abzuwehren.
In dem kleinen kahlen Häuschen, in dem die Bällchen fritiert werden, wie überall, Heiligenbildchen. Ganesha, der Elefantengott, ist eigentlich immer dabei, ein anderes Bild zeigt einen Mann im Lotossitz. Ist das dein Guru, frage ich den Snack-Mann mit Hilfe der Nachbarin, denn natürlich spricht er kein Englisch. Brahman sagt er! Aja, sage ich und wackle mit dem Kopf.
Die Kinder futtern, das Mädchen ist ganz im Glück. Sie bewegt sich hier mit größter Natürlichkeit und ich frage mich wieder einmal, welche Spuren diese ersten Jahre in Indien in ihrer Seele hinterlassen werden. Allerdings frage ich mich das auch bei mir selbst. Denn noch immer weiß ich noch nicht ganz genau, warum das Leben mich hierhergeführt hat. Es macht nichts. Ich vertraue dem Leben.
Im Auto zurück sind die Kinder wild, als wären sie auf Zucker. Drei Kinder, keine Gurte oder Sitze. Der Nachbar fährt mit größter Gelassenheit im Schrittempo, weicht Rikshas und Motorrädern aus, umfährt die größten Schlaglöcher. Ich sehe hinaus in die bunte lichtdurchwirkte Nacht.
You must be counting the days sagte mein Zahnarzt letzte Woche zu mir, als ich im erzählte, dass wir Mitte Juni zurückgehen. Nein, so ist es nicht, sagte ich ihm und frage mich, ob er sein Land selbst so schrecklich findet. Oder ob er das einfach von den Ausländerinnen und Ausländern gewohnt ist, dass die möglichst schnell weg wollen. Ja, ich habe eine Liste im Kopf von Dingen, auf die ich mich freue. Ja, mit manchem kann man leichter umgehen, wenn man weiß, dass es bald vorbei ist. Und trotzdem:
Ich bin einfach hier, noch ist es normal. Ein paar Tage, ein paar Wochen noch ist so ein Tag einfach ein gewöhnlicher Sonntag in Indien im heißen Monat Mai.
Mehr Sonntage im Mai gibt es hier.
Theresa Behrendt sagt:
Liebe Anka, auch wenn Du soo weit weg bist, mit Deinen Texten zauberst Du für einen Moment einen indischen Sonntag im heißen Mai in unsere Küche im frischen Mai im Vauban, wo der Grießbrei der Kinder noch auf dem Tisch steht. Draußen streckt sich das junge Grün in den bewölkten Himmel, die Bäume explodieren grün. Und gleich fahre ich zur Arbeit in den Schwarzwald, wo es nochmal geschneit hat. Auch ein bisschen schwimmen.
Bis bald! Theresa
ankafalk sagt:
Oh ich freu mich soooo sehr, liebe Theresa, über Deinen Kommentar. Ja, bis bald, grüß den Schwarzwald. Beim Schwimmen im Pool frage ich mich immer wieder, ob wir bald mal zusammen mit unseren Mädels im Freibad sein werden oder im Lorettabad…