Indien ist mir auch nach Jahren in vielerlei Hinsicht immer noch fremd – und wird es wahrscheinlich auch immer bleiben. Dennoch habe ich auch hier Orte gefunden, an denen ich ganz und gar ankommen kann. Die ein Gefühl von Vertrautheit wecken, von Zuhausesein. Der kleine Kindergarten in Auroville ist einer davon.
Ein Kindergarten in Auroville: hier habe ich schon ein wenig darüber geschrieben. Ein Kindergarten für Gäste. Nicht viele sind es in dieser Woche: Ein Kind aus Japan, eines aus Österreich, unsere Tochter, und ein kleines Mädchen aus Leipzig, dessen Mutter aus China stammt. Die Erzieherin stammt aus Spanien, hat eine Waldorfausbildung, hat in UK gearbeitet und lebt hier. Wie überall in Auroville kommen auch hier Menschen aus der ganzen Welt zusammen. Ähnlich wie beim Tango entsteht dann oft ein ganz besonderer wunderschöner Raum. Vor allem wenn Menschen nicht nur körperlich und mental, sondern auch mit ihrer Seele anwesend sind.
Die Kinder können sich frei bewegen zwischen dem zu einer Seite hin offenen Bungalow und dem großzügigen Garten. Es gibt einen Platz zum Malen und einen fürs Arbeiten mit Ton. Es gibt Bücher in verschiedenen Sprachen, einen Kaufladen, eine Küche.
Im Garten gibt es ein Baumhaus, ein Trampolin, einen Sandkasten. Mit einer kleinen Gießkanne werden kleine Pflänzchen gegossen, unermüdlich, wieder und wieder.
Der Vormittag gleicht einem mäandernden Flußlauf, vom Spiel der Kinder geprägt. Nur ein leichter Rhythmus und kleine Rituale lenken sie durch die Stunden: Zur Story Time wird ein Glöckchen geläutet, Reime und Geschichten werden erzählt. Mit Raunen und Flüstern, mit Fingerspielen und Fäusten, die sich öffnen und schließen. Zur Snack Time wird gemeinsam der Tisch gedeckt. Eine kleine Kerze wird entzündet. Die Gründerin des Kindergartens, sie lebt im Haus nebenan, bringt Papaya aus ihrem Garten, Ananas oder Bananen, ein paar Datteln oder Nüsse, Brote mit Erdnussbutter. Wir essen gemeinsam, danach trägt jedes Kind seinen Teller zum Spülbecken.
An einem Tag bringt die Erzieherin Blumen mit. Jedes Kind bekommt ein Väschen, darf das mit Wasser füllen, sich eine Blume auswählen. Als alle Väschen bestückt sind, werden sie einer kleinen Ganesha-Statue hingestellt.
Ich bin nicht die einzige Mutter, die da bleibt. Auch die Mutter des japanischen Jungen ist da, und die in Leipzig lebende Chinesin. Die Japanerin wird einen Monat etwa bleiben, die Chinesin bleibt für länger, will mit Mann und zwei Kindern einige Zeit in Auroville leben.
Wir reden über Kindergartenerfahrungen in Indien. Das frühe Zählenlernen, der Leistungsdruck, das „good boy, bad girl“-Schema, mit dem schon so früh pauschale Bewertungen verteilt werden. Dabei wünschen wir uns in den Kleinkindjahren vor allem Bezogenheit, Raum, Geborgenheit. Wir reden darüber, wie man sich in Auroville am besten bewegt: mit Fahrrad (aber nicht bei Nacht), mit Scooter oder Auto-Rikscha. Darüber, wo man essen kann: hier gibt es gutes indisches Essen, Tali, von zwei Frauen gekocht. Dort Falafel. Und schließlich reden wir auch darüber, was es bedeutet, hier länger zu bleiben, und warum man sich dafür entscheidet: In Gemeinschaft leben. Kulturübergreifend. Nachhaltig. Sinnvoll. Spirituell. Mit Menschen, die ähnliche Werte teilen. Einfach ist es nicht. Auch Auroville ist kein Paradies. Es wird eine Menge Freiwilligenarbeit erwartet, die kaum bezahlt wird, jedenfalls nicht mit Geld. Dafür kann man aber Erfahrungen machen, Dinge ausprobieren, Neues schaffen.
Über alledem liegt ein wunderbar friedliche Atmosphäre. Die Kinder spielen ungestört, in Freiheit, geborgen. Dieser Ort hat eine ganz eigene Poesie. Ich weiß es nicht, ob es die Dinge sind oder viel mehr das, was die Dinge umgibt, die Art wie ausgewählt wurde, zusammengestellt, der Geist, der darin herrscht.
Es ist ein Ort, wie er sein soll für Kinder. Aber auch für Erwachsene. Liebe und Umsicht verströmend, Bewusstsein, weit, raumgebend, organisch, schön. Alles lebt und atmet hier. Jede Tasse, jede Puppe und jeder Stein. Zauber.
Es braucht viel mehr Orte wie diesen, auf dieser Welt.