Müde. Immer wieder mal war ich unfassbar müde die letzten Monate. Ich schlief immer wieder schlecht. Ich wachte auf, wenn sich mein Töchterchen beschwerte, dass sie nachts keine Milch mehr bekam, wenn sie unruhige Träume hatte, wenn sie sich drehte, wand und wendete. Oder auch wenn meine Gedanken sich drehen und winden und wenden oder auch weil ich am Vortag zu viel Kaffee getrunken habe, weil ich zu müde war.
Es ist das Wetter, sagen manche. Der nun endende Monsun mit seiner wechselhaften Laune ist schuld an allem möglichen, auf jeden Fall aber an allerlei Wehwehchen, die jetzt auftauchen.
Wie auch immer – ich bin müde und das geht nicht nur mir so. Die Müdigkeit der Eltern wurde auch hier und hier und hier schon beschrieben.
Müde blinzelnd stand ich neulich morgens in der Küche und suchte nach einer Sendung in der Deutschlandradiomediathek, die mich beim Kaffeekochen unterhalten könnte. Und fand: eine Sendung über Müdigkeit.
Die Sendung hatte kaum begonnen, da war meine Müdigkeit auf und davon – für eine kleine Weile wenigstens. Denn die Stimme, die da über Müdigkeit sprach – die kannte ich. Es ist lange lange her, dass ich mit diesem Menschen sprach oder ihn sah – und umso mehr ist das eine wunderbare Überraschung. Über die Nutzlosigkeit der Müdigkeit spricht er, und findet die gerade gut. Über das Besondere der Müdigkeit spricht er, diesen ungeliebten Zustand. Darüber, wie tief der Impuls gegen die Müdigkeit zu kämpfen in unserem kollektiven Bewusstsein verankert ist. Effizient sein, fit sein, produktiv sein und so weiter.
Ich schüttelte ein wenig ungläubig den Kopf: Da machst Du an einem gewöhnlichen Wochentag morgens in Indien das Radio an. Bist müde, so müde. Findest eine Sendung über Müdigkeit. Hörst einen Namen. Und dann das.
Aus dem weichen, nebligen, ein wenig schweren Zwischenzustand der Müdigkeit tauchte eine Erinnerung auf. Es ist ein Foto in schwarz-weiß mit zwei jungen Männern, aufgenommen in der Foto-AG eines süddeutschen Gymnasiums. Beide tragen eine Brille und halblange Haare und beide sind schön. Wir sahen es uns oft an, das schöne Bild, auch später noch. Später, als der eine dieser beiden seine Haare durch eine Chemotherapie verlor, während der andere studierte.
Der eine starb, der andere ging an die Sorbonne. Ein paar wenige Mal bin ich ihm noch begegnet und immer habe ich mich gefreut. Und dann sah ich ihn viele Jahre nicht. Bis ich ihn eines müden Morgens in Indien im Radio hörte. Und mich so sehr über dieses Wiederhören freute.
Mein Mann hat übrigens letztens ein Kinderzimmer eingerichtet. Dort schläft das Mädchen jetzt. Einfach so. Von heute auf morgen. Es gefällt ihm. Manchmal schlafe ich jetzt tief. Manchmal liege ich trotzdem wach.
Wenn ich jetzt ganz schlimm müde bin, muss ich manchmal auch ein wenig lächeln. Ich erlaube mir ein klein wenig mehr müde zu sein und ein klein wenig weniger produktiv. Statt dessen halte ich Ausschau nach unerwarteten Begegnungen. Denn die Müdigkeit ist für Überraschungen gut. Und ein Zeichen dafür, dass ich am Leben bin.
Ps: Die Sendung über die Müdigkeit findest Du hier.
Margarete Semmig sagt:
Ein „schöner“ Zu –fall. Berührend. Ich kenne den Zustand auch. Zulassen und …..lächeln. Nicht immer gelingt es. Der Philosoph beschreibt die Situation gut nachvollziehbar. In der Gewaltfreien Kommunikation heißt das „Selbstempathie“.
Hanna sagt:
das müde Kind ist eben neben mir eingeschlafen, es dreht und wendet sich unruhig. ich, die auf diesen Moment schon den ganzen Morgen gewartet hat, lese im Internet anstatt auch nochmal zu schlafen. seit Tagen so müde… nach diesem Text nun will ich nicht mehr ankämpfen, mich nicht mehr halten, sondern mich einfach weich und friedlich in die Müdigkeit sinken lassen. herrlich.
so sehr danke!
ankafalk sagt:
Ach wie schön, das freut mich! Danke fürs Mitteilen!