Die muslimische Seele meiner Stadt

Where are you, sagt mein Freund, nennen wir ihn Ali. Er könnte auch Khan heißen, es spielt keine Rolle, ein Name jedenfalls, an dem man die muslimische Herkunft mühelos erkennen kann. I have no idea, sage ich, aber sie lassen uns nicht durch. Die Polizei lässt nur Muslime passieren.

Nimm einen anderen Weg, sagt Ali, und so kurven wir, das Mädchen, der Fahrer und ich, weiter kreuz und quer durch winklige Gassen, vorbei an Ladenschildern in Urdu, der Sprache der Muslime. Haufenweise kommen uns Motorräder entgegen, fast immer sitzen Männer darauf, manchmal Buben, und sie alle tragen weiße Kurtas,  gehäkelte Gebetsmützen und Bärte. Es ist Eid, das Fest zum Ende des Ramadans und wir treffen Ali am Chowmalala Palace im Herzen der Altstadt von Hyderabad. Selbst Ali, den ich nur in Jeans und T-Shirts kenne, trägt weiß.

Ich binde mir das Baby auf den Rücken, die Kamera über die Schulter und gehe hinter Ali her. Der gesamte Basar ist heute geschlossen, der Bereich um die große Moschee für Fahrzeuge gesperrt.

Wir gehen aufs Dach des Unani Hospital, sagt Ali. Er zeigt auf ein halbverfallenes weiß gestrichenes Gebäude. Das Haus hat diesen maroden Charme, der einen so romantisch stimmen kann, wenn man die Sterilität deutscher Städte satthat.Dann aber, als wir die Treppen hinaufsteigen, sehe ich, dass in den Sälen auf den einfachen Metallpritschen Frauen in bunten Saris liegen.

 

Das Krankenhaus ist in Betrieb, frage ich ungläubig. Ja, sagt Ali. Und wer wird hier behandelt? Menschen, die an diese Medizin glauben, sagt er. Unani, das ist die persische Variante von Ayuverda. Eine Kräutermedizin. Er zeigt auf die staubigen Gläser, in denen sich getrocknete Pflanzen und allerlei Pülverchen befinden und ich versuche mir vorzustellen, ich hätte hier meine Tochter geboren.

Wir klettern über Terrassen und Mäuerchen aufs Dach und ohne Alis haltgebende Hand wäre mir dabei, mit einer fast Zweijährigen auf dem Rücken, wohl nicht so wohl gewesen. Wir sind nicht die ersten hier, eine Reihe von Fotografen haben schon ihre großen Stative aufgebaut. Alis ehemaliger Arabischlehrer macht Selfies mit meiner Tochter und unten strömen die Männer in die Moschee.

Wo sind die Frauen, frage ich Ali. Er zuckt mit den Schultern. Zu Hause. Wie sind sie angezogen heute, frage ich. Bunt, in allen Farben, sagt Ali. Ich wünschte ich könnte sie sehen und ich bin doch ganz und gar glücklich über das, was ich heute erlebe. Ich sehe nur die Männer und ich finde sie wunderschön.

In der Moschee ist so gut wie kein Platz mehr – sie fasst 10.000 Menschen sagt man mir – und so richten sich auch einige Männer auf dem Platz davor ein. Sowieso ist es an diesem Morgen üblich, im Freien zu beten, stand in der Zeitung, denn der Prophet habe das auch so gemacht.

Und dann beginnt das Gebet auf das wir die ganze Zeit warten. Der Gesang des Imams erhebt sich, dringt aus dem Lautsprecher und über den Platz. Die vielen Männer versinken in Stille, sie stehen, knien, verbeugen sich, als seien sie ein Körper.

Und ich denke, dass im Kern dieser Religion, wenn alles Äußere wegfällt, alle Gewalt, alle Moral, alle Regeln, nichts anderes ist als liebende Güte. Es ist Liebe, was an diesem Morgen aus dieser Moschee strömt, hinauf zu mir aufs Dach des maroden Kräuter-Spitals. Es ist Liebe, mit der alles beginnt, und das ist wahr trotz allem, was Menschen später aus Religionen machen.

Später trinken wir Chai Irani in einem Teehaus. Heute, sage ich zu Ali, habe ich die Seele des muslimischen Hyderabads berührt. My pleasure, sagt er, lächelt, und gibt dem Mädchen einen Kuss.

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