Im Zwischenraum der Sprachen

Unser kleines Mädchen spricht noch kaum ein Wort, obwohl sie gerne mit bedeutungsvollem Gesichtsausdruck und staatsmännischen Gesten Reden schwingt. In ihrer eigenen Sprache. Wir sprechen deutsch mit ihr. Unsere Hausangestellte Telugu. Unser Fahrer Urdu. Die Nachbarsfamilie, mit deren Buben unsere Tochter spielt Hindi. Alle anderen Englisch.

Sprache ist eine komplizierte Angelegenheit in Indien: Hyderabad ist die Hauptstadt des Bundesstaates Telangana. Als wir hierherzogen war es noch die Hauptstadt von Andra Pradesh aber in der Zwischenzeit wurde ein neuer Bundesstaat geschaffen. Man spricht Telugu hier, hat man mir gesagt. Telugu hat nichts zu tun mit Hindi, hat man mir gesagt. Die Sprachen haben vollkommen verschiedene Wurzeln, hat man mir gesagt.

Telugu ist sehr schwer zu lernen. Die Schriftzeichen sehen aus wie lustige Kringel. Der Klang ist fremd. Was ich nicht wusste und auch erst nach und nach herausgefunden habe ist, dass man mit Hindi doch relativ weit kommt hier: Muttersprache meiner Hausangestellten ist Telugu, etwas Hindi kann sie aber durchaus verstehen. Wie das möglich ist, wenn die Sprachen so vollkommen verschieden sind, verstehe ich auch nicht. Wenn der elterliche Besuch meiner Nachbarin Punjabi spricht, versteht meine Hausfee allerdings kein Wort. Ich verstehe selbst wenn die Punjabis Englisch sprechen nicht viel. An die englische Brechung der hindisprechenden Inderinnen und Inder habe ich mich einigermaßen gewöhnt. Aber auch das hat lange gedauert. Sehr sehr oft muss ich am Telefon sehr sehr oft nachfragen. Und auch ich werde oft nicht verstanden.

Neulich erst habe ich bei einer Englischlehrerin angerufen um für meine Haushaltshilfe Englischunterricht zu organisieren. Die Frau am anderen Ende der Leitung hat partout nicht verstanden, was ich von ihr wollte. Ob ich schwer zu verstehen sei, fragte ich meine Angestellte Leela. Ich würde sehr schnell sprechen, hat sie gesagt, und dabei gelächelt. An ihrem Gesicht kann ich mittlerweile meist ablesen, ob sie etwas verstanden hat, was ich gesagt habe, oder nicht. Sie antwortet in jedem Fall „Yes, Madam“, aber ein Zucken verrät mir, dass sie nicht verstanden hat. Allerdings heißt, dass sie verstanden hat, noch längst nicht, dass sie auch direkt umsetzt, was ich ihr sage. Erst durch mehrmaliges Wiederholen kann ich verdeutlichen, dass ich meine, was ich sage. Einmal ist keinmal. Manchmal hat sie ihre Gründe, warum sie nicht macht, was ich ihr sage. Aber auch das finde ich erst heraus, wenn ich hartnäckig nachfrage. Ich darf auf jeden Fall keine komplexen Sätze machen. Einfache kurze Sätze. Wiederholungen. Manchmal fange ich an, im selben Stil mit ihr zu reden wie sie mit mir. Das sind dann keine vollständigen Sätze mehr, sondern Fragmente. Verben ohne alles: Driver is came, Madam.

Leela war es, die mir verraten hat, dass unser Fahrer Mustafa  gar kein Telugu spricht, sondern Urdu. Eine weitere Sprache, die hier nicht so selten zu sein scheint, insbesondere bei der muslimischen Bevölkerung. Diese Sprache habe einen wundervollen Klang, hat man mir gestern gesagt, sie sei persisch beeinflusst, und sehr poetisch. Ich habe sie bisher nur in den kurzen Telefonaten gehört, wenn mein Fahrer während der Fahrt telefoniert.

Es ist nicht nur so, dass ich die Menschen hier nicht verstehe, sie verstehen sich auch untereinander oft nicht oder nur rudimentär. Hier geistern so viele Sprachen durch die Luft, dass es schwer ist, klar zu sehen oder klar zu verstehen. Auch die Menschen, die hier leben sprechen so oft über Sprachgrenzen hinweg. Und schon wenn sie Englisch sprechen ist das ja nicht ihre Muttersprache und der Wortschatz oft schon deutlich begrenzter. Wieviel genau von der anderen Sprache verstanden wird, erschließt sich mir nicht, oft scheinen es aber nur Brocken zu sein. Wenn man ungefähr kapiert hat, ist man schon zufrieden. So entstehen unfassbare Unschärfen in der Kommunikation. Man reimt sich selbst das meiste zusammen aus dem, was man verstanden hat. Und dann testet man nach dem Trial and Error Prinzip, ob man richtig liegt. Lost in Translation passt hier nicht. Eher schon Living in Translation. Es ist einfach normal und man geht möglichst kreativ damit um. Irgendwann klärt sich dann schon, was gemeint war. Oder es war nicht so wichtig.