Wintern. Überwintern. Im Winter wohnen. Ein langer Winter ist das. Ein doppelter Winter: der Jahreszeitliche, der mit Kälte, Schnee, und Eis. Und ein Virus-Winter, in dem wir ausharren, warten, uns bescheiden und beschränken, leiden, die einen mehr, die anderen weniger, einsam sind.
Dunkel ist er, dieser Winter, wenn ich, kurz vor der Ausgangssperre, mit meinem Fahrrad durch die verlassene Stadt fahre. An der Ampel stehend, entdecke ich eine Seifenblase. Groß, rund und mühelos schwebt sie durch die Dunkelheit. Eine Seifenblase? Mitten im Winter? Des Rätsels Lösung steht ein paar Meter weiter. Auf dem Platz der Synagoge steht, allein, im Regen, ein Mann und entlässt tausende von Seifenblasen mit einer langen Schlaufe in den Himmel. Zum Weinen schön.
Ab und zu klingelt ein Nachbar, eine Nachbarin. Bleibt vor der Tür natürlich und wird nicht hereingebeten. Leiht sich ein Ei oder eine Zwiebel. Bringt einen Einkaufszettel, weil er in Quarantäne ist. Braucht die Spätzlespresse. Leiht meine Langlaufskier. Einmal, als ein Nachbar klingelt, es sind Eier wieder mal, die fehlen, verlange ich eine Gegengabe. Er bringt einen großen Kasten, etwas unförmigen und erstaunlich schweren Kasten. Ich öffne ihn: Ein Akkordeon. Es passt zu dieser Jahreszeit, es passt zu dieser Zeit, in der ich nur immer mal ein paar Minuten finde, in denen nichts muss und niemand nichts will und in der ich nun Töne mache, überraschend laut, während das Mädchen Weitsprung von der Sofakante übt.
Wenn das Wintern mühsam wird machen wir Buchteln, mit Pflaumenmus gefüllt. Das Mädchen übt sich in Erpressung: Wenn du dies machst, bist du die beste. Wenn du das nicht machst, lade ich dich nicht ein. Dann werde ich laut und lange weinen, sage ich.
Zum ersten Mal seit ich ein Kind war habe ich mir Winterstiefel gekauft, gefüttert, mit Profil. Und eine Jacke, in der ich nicht mehr friere. Warum habe ich anderthalb Winter gefroren, seit wir aus Indien zurück sind?
Wir wintern. Wir warten. Es wird Zeit.