Wir sind wieder in Indien. Diese großen langen Reisen um den halben Globus, um die halbe Welt, vom einen Zuhause uns andere hinterlassen bei mir oft ein Gefühl von Verwirrung. Die Welt fühlt sich diffus an, verschwommen. Ich bin zur falschen Zeit wach und zur falschen Zeit müde. Aber die Zeit ist eigentlich das geringste. Da ist das Klima: Aus der Wärme in die Kälte. Oder umgekehrt. Damit einhergeht ein ganz anderes Körpergefühl, andere Kleidung, anderer Appetit. Und dann ist da noch alles andere: Die tausend kleinen Gewohnheiten des Alltags, die hier anders sind als dort.
Die ersten Tage möchte ich eigentlich nichts tun. Nur ankommen. Warten bis ich mich wieder zusammengesammelt habe. Diese langen Reisen, die vielen Stunden in der Luft, zwischen allen Welten und herausgelöst aus allen Verbindungen sind lange Meditationen der Schwerelosigkeit. Dann wieder zu landen dauert. Wenn man ankommt – ob am einen oder am anderen Ort – sieht man das eigentlich wie Vertraute wie zum ersten Mal. Man sieht Dinge, die man vorher nie wahrnahm. Und plötzlich sind da Gewohnheiten, mit denen man aneckt, die falsch sind, falsch weil sie an den anderen Ort gehören.
Unser alltägliches Leben ist von Gewohnheiten durchtränkt. Wenn man den Ort verlässt, an den all diese Gewohnheiten gehören, so schleppt man sie dennoch mit wie einen viel zu großen nassen schweren Lappen, der einem an den Beinen klebt und das Gehen behindert.
All diese Gewohnheiten, die Art, auf Dinge zu reagieren, das worauf man reagiert…das allermeiste davon ist nicht bewusst, bis wir nicht einen radikalen Ortswechsel erleben. Es schlummert in uns wie eine unbekannte Krankheit die erst in der Fremde ausbricht, und von der wir vorher nicht einmal ahnten, dass es sie gibt. Dann aber kann sie sich plötzlich zu einem ernstzunehmenden Leiden entwickeln. Und eines der Symptome ist die Verwirrung.
Keep your robes clean, heißt es bei Jack Kornfield in seinem Buch The Wise Heart. Gerade in Zeiten der Verwirrung. Keep your robes clean heißt für mich: sich um das Alltägliche Vielerlei zu kümmern und daraus eine Praxis zu machen. Wenn ich verwirrt bin, weiß ich oft nicht mehr, was zu tun ist. Ich weiß nicht einmal mehr, wo oben und unten ist. Alles löst sich auf. Was vorher bedeutsam war, verschwindet. Was eben noch ganz wichtig war, in der anderen Kultur, ist hier vollkommen uninteressant. Alles verliert sich in einem Nebel. Die Konturen der Dinge lösen sich auf.
Keep your robes clean heißt: Tue, was zu tun ist. Das ganz alltägliche. Kümmere dich um deine Kleidung, dein Haus, ordne die Dinge, die dich umgeben. Schaffe eine äußere Ordnung und schaue, was Du erkennst, wenn sich der Nebel allmählich lichtet.
Ich füttere den Sauerteig. Ich backe Brot. Ich ordne meine Unterlagen. Ich prüfe das Haus auf Schimmelbefall durch die Feuchte des Monsuns. Ich schreibe Pläne. Ich mache Kaffee. Ich gehe spazieren. Ich wickle mein Kind. Ich mache Yoga. Ich fange wieder an zu bloggen. So lange, bis ich irgendwann wieder ganz da bin.