Die Leute hier in Deutschland sind komisch, sage ich der Nachbarin über whatsapp. Die bedanken sich die ganze Zeit. Ha! Sagt die Nachbarin, und wirft lachend den Kopf in den Nacken. Ihr Bindi blitzt zwischen ihren Augenbrauen. Hab ich’s dir doch gesagt.
Ja, tatsächlich sagte mir die Nachbarin vor nun schon recht langer Zeit, ich solle mich nicht ständig bedanken. Das mache sie sauer, ja, das beleidige sie sogar. Ich machte langatmige Erklärungen. In meiner Kultur bedanke man sich, das sei eine Frage der Höflichkeit, bla bla bla. Inderinnen und Inder kommen nämlich gern mal ohne bitte und danke aus und ohne hallo und tschüs und das wiederum machte mich regelmäßig sauer.
Die Nachbarin hingegen fand, man müsse nicht alles quittieren. Geben war für sie eine natürliche Geste.
Jetzt, wo ich wieder hier bin, fange ich an zu verstehen, was sie meinte. Jetzt erscheint es mir hier auch übertrieben, wie jede Rücksichtnahme, jedes Stück Kuchen, das ich jemandem bringe, jeden Gefallen, den ich tue, jedes noch so kleine Geschenk, mit mehrfachen Dankesworten beantwortet wird. Als müsse jetzt, sofort, das Ungleichgewicht wieder aus der Welt geschafft werden, das durch meine Gabe entstand. Als sei eine Schuld entstanden, die sofort wieder beglichen werden müsse. Jemand hat mir was gegeben, einfach so! Um Himmels Willen! Ich muss sofort etwas zurückgeben sonst kippt die Welt in eine schreckliche Schieflage! Danke! Vielen, vielen Dank! In unserer Kultur wird gerechnet. Alles wird ausgerechnet. Auf Heller und Pfennig. Auch in Beziehungen.
Manchmal, wenn die Nachbarin danke sagen wollte, warf sie mir einen Blick zu. Ihre Augen waren dann dunkel. Manchmal aber sagte sie nichts, sah mich nicht einmal an. Das waren die Momente, in denen die Fäden, die uns verbinden, am selbstverständlichsten sichtbar wurden.
Freudentänze macht die Nachbarin übrigens aus anderen Gründen in diesen Tagen. Sagt mein Mann. Ich war ja nicht dabei, als er ihr erzählte, dass wir sie besuchen kommen. Ganz überraschend. Nächsten Monat schon.