Warum, frage ich mich, warum heißt dieses Café Autumn Leaf Café, wo es doch in Indien keinen Herbst gibt und keine im Herbst fallenden Blätter, sondern kuriose immergrüne Bäume mit seltsamen Früchten und schrillen Blüten. Aber dann vergesse ich die Frage schnell, denn es spielt keine Rolle.
Dieses Café ist mein neuer Lieblingsort in der Stadt und ich bin hier, es ist Samstag Vormittag, und ich bin alleine. Ich habe Zeit. Ich trinke Saft, und Kaffee und wieder Saft. Und ich arbeite, ungestört. Erst am Nachmittag kehre ich zu Mann und Kind zurück.
Drei Dinge bekommt das Mädchen an diesem Sonntag geschenkt, von drei verschiedenen Menschen: Regennasse Guaven, von einem Mann, der eben an uns vorüberlief, als das Mädchen gerade tobte und wütete. Er muss sie gerade erst irgendwo aufgesammelt haben, sie sind unversehrt und fest. Nur wenig später stranden wir, vom Regen überrascht, im Haus des Doktors. Und kehren mit einer Schüssel gebratenem Fisch nach Hause zurück. Noch warm ist er, und er duftet nach Zimt und Chili. Für das Mädchen. Später, am Nachmittag wird mir die Schwester der gärtnernden Nachbarin das T-Shirt meiner Tochter in die Hand drücken. Sie hat ihr eben das T-Shirt aus und ein Kleidchen angezogen, dass die Mutter der Familie eigens für sie ausgesucht hat. Vor Wochen schon. Als sie in Rajasthan waren. Das Mädchen spielt unbeirrt weiter. Die Schwester der Gärtnerin sagt, sie habe sich immer ein Mädchen gewünscht.
Müde sind wir an diesem Wochenende, am Samstag wie am Sonntag Morgen. Schuld sind Gewitter, der Regen, ein nächtlicher Abstillversuch und die Fussball-WM. Die erste Nacht lauschen wir dem Donner und wachen mit dem Mädchen, das nicht schlafen mag. Die zweite Nacht gucken wir Fussball, Tatort, und nochmals Fussball und fühlen uns deutsch und die Zeitverschiebung schiebt uns lachend und gähnend weit und tief in die Nacht hinein.
Bevor das Wochenende sich davonmacht, geht der Mann tanzen, das Mädchen zupft Blüten und ich spende Geld, denn letztes Wochenende wurde ich mehrfach angebettelt. Ich gebe nichts auf der Straße, aber ich gebe stattdessen woanders, wenn ich auf der Straße gefragt wurde. Das habe ich von einem Freund gelernt, als einen Weg mit der Armut und dem Elend umzugehen.
Dieses Mal gebe ich Didi Textiles, gefunden auf dem Blog von Poison Berlin und das hat einen Grund, von dem ich ein anderes Mal erzählen werde, ein anders Mal, wenn ich weniger müde bin als heute.
Rosie ist wieder da! Das liebste Buch des Mädchens war lange verschwunden und neulich hat der Mann ein neues Exemplar aus England mitgebracht. Ein wunderbares Buch mit sehr schönen Illustrationen. Es handelt vom Spaziergang eines Huhns, der dem spärlichen Text nach völlig unspektakulär verläuft. Die Bilder aber verraten mehr.
Beim Durchblättern der Zeitung finde ich einen Artikel über ein hinduistisches Ritual im Assam: Die Menstruation einer Göttin wird gefeiert. Was ich über den Umgang mit der Periode in Indien so mitkriege, habe ich neulich erst in einem Text zusammengetragen. In Assam scheint das nicht ganz so tabuisiert zu sein wie im Rest von Indien. Das liegt an der blutenden Göttin, meinen die Priester in diesem Zeitungsartikel. Indien ist eben immer komplexer und diverser und vielfältiger als man denkt und vielleicht gilt das ja für die Welt überhaupt. Man lernt hier, dass die Dinge nicht so sind, wie sie erscheinen. Was und wie ich sehe spiegelt mir meist nur die Muster und Grenzen meiner eigenen Wahrnehmung.
Mehr Wochenenden in Bildern gibt es bei Susanne von geborgen wachsen.