Der Mond hängt blaß am blaßblauen Himmel, als wir zum Flughafen fahren. Als habe die Nachbarin ihn in den Himmel gestreut, mit dem Salz, dass ich ihr noch wenige Minuten vor Abfahrt lieh, mit ihren Abschiedstränen zu einer milchigen Lake gelöst.
Wir überholen klapprige Laster, mit Ornamenten von Hand bemalt, und erinnere mich, dass sie mir als erstes auffielen als ich das erste Mal auf dieser Schnellstraße fuhr, als ich das erste Mal in Indien ankam. Wie lange ist das her. Am Ende fällt alles zusammen: Anfang, Abschied, Neubeginn, als gäbe es für das alles sowieso nur einen Platz und eines könne ohne das andere nicht leben. Wie Geschwister, die sich nicht trennen wollen, obwohl sie längst erwachsen sind, die noch immer in einem Bett schlafen, ihre Mahlzeiten dicht aneinander gedrängt essen, sitzend auf einer zu kurzen Bank.
Der Abschied ist da. An diesem letzten Tag laufen wir nochmal zum See, lassen Schiffchen in die Zukunft schwimmen, aus Papier gefaltet, weiß wie das Salz und der Mond und mit Wünschen beladen. Der Wind treibt sie rasch übers Wasser. Wir reden, viel und lange, über das, was unser Leben hier war.
Über Tage schon löste sich der Alltagsfluß auf, in dem wir hier schwammen, verdunstete in der Hitze. Ein paar Kristalle bleiben zurück, die sammeln wir ein und hüten sie wie Samen der Zukunft.
Später an diesem Abschiedstag bringen wir der Nachbarin die Kuckucksuhr. Es dauert eine Weile bis sie wieder läuft, wir bangen, sie könnte kaputt sein, aber dann schreit der Kuckuck und die Kinder ebenfalls. Diese Kuckucksuhr ist unser Abschiedsgeschenk. Ich erzähle der Nachbarin warum:
Als wir wussten, wir würden nach Indien gehen, wollte ich eine Kuckucksuhr. Sie werden nämlich dort gemacht, wo ich wohnte. Ich wäre, hätte ich weiterhin dort gewohnt, nie auf diese Idee gekommen. Aber jetzt machte es plötzlich Sinn. Lass uns eine Kuckucksuhr mitnehmen, sagte ich zu meinem Mann, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht mein Mann war. Diejenigen, die sie am tollsten finden, dürfen sie am Ende behalten. Also ließen wir uns eine Kuckucksuhr zur Hochzeit schenken, von den Nachbarn in Deutschland. Was ich damals nicht wusste, ist, dass Kuckucksuhren längst den ganzen Globus erobert haben. Sie sind in indischen Haushalten der gehobenen Mittelschicht längst angekommen. Natürlich nicht die echten, in Handarbeit aus dem Schwarzwald, sondern nachgemachte aus Plastik. Die begeisterten Reaktionen auf unsere Uhr fielen also eher verhalten aus und ich hatte wieder etwas gelernt. Eine der vielen Lektionen. Man lernt vor allem sich selbst kennen, wenn man ins Ausland geht, und seine eigenen grotesken Erwartungen an die Welt.
Die Nachbarn aber haben kein Kuckucksuhr und seit Wochen forderten die Nachbarskinder, wenn sie bei uns im Haus waren, den Kuckuck zu sehen. In der heißen Zeit läuft die Uhr nämlich nicht. Der Wind, den der Ventilator macht, bringt sie zum Stehen. Jetzt aber wird der Regen kommen. Der Monsun wird nun erwartet, wird den blassen Himmel waschen. Aber wir werden dann nicht mehr da sein.
Jetzt aber wird keine Stunde mehr vergehen, in der der Kuckuck die Nachbarin, ihren Mann und ihre Kinder nicht an uns erinnern wird.