Durchs Winterdunkel segeln

durchs Winterdunkel segeln

November, Dezember. Die Monate verschwimmen ineinander, die Laternen haben sich in den Dezember geschlichen und der aufgeregte Dezember mit all seine Köstlichkeiten und kleinen Ritualen in den November. Es muss an der Pandemie liegen, woran auch sonst. Nie zuvor habe ich schon im November Weihnachtskekse gebacken und so viele Lebkuchen gegessen wie dieses Jahr. 

Ach November! Du warst der letzte Monat, der uns noch fehlte, hier in Deutschland, denn letztes Jahr haben wir Dich nochmals in Indien verbracht. Jetzt ist der voll, der Jahreskreis hier und endlich weiß das Mädchen, was ein Martinstag ist. Wenn er auch dieses Jahr nur in abgespeckter Version stattfand. Wir haben jedenfalls Wochenenden lang Laternen gebastelt und sind am Martinstag, natürlich nur mit einer Nachbarsfamilie, mit den kleinen Leuchten spazieren gegangen, den Weg am Bach entlang, wie einige Dutzend anderer Familien auch. Wir hielten Abstand so gut es ging und freuten uns an den Lichtern, das zwischen den Bäumen hervorschimmerte.

Nur wenige Tage später war Diwali in Indien. Die Nachbarin schmückte unser Haus und wir schauten ein wenig sehnsüchtig die Bilder an. Vielleicht feiern wir hier auch Diwali nächstes Jahr, warum eigentlich nicht. Stapelweise Diyas, kleine Öllämpchen, haben wir noch. 

Und dann, während der Herbstwind mit den letzten Äpfeln um sich wirft, wird der Mandelbaum in unserem Garten gefällt. Nie mehr also die frühen Blüten, im Februar, vor dem Schlafzimmerfenster. Er war alt, er war krank, aber ach. 

Und jetzt? Hat der Dezember sich durchgesetzt. Sogar Schnee haben wir, zumindest oben, im Schwarzwald. Inmitten von kollektiver Verunsicherung, Stress, Weihnachtsvorbereitungen ohne die übliche Dichte an Terminen fällt Schnee, als sei nichts gewesen, Schnee, als sei nie etwas anderes gewesen als die Kräfte der Natur, die hinter allem sind, jenseits des Lärms, den wir produzieren. Schnee, lautlos fällt.

Dieses Jahr muss ich dem Mädchen die deutschen Weihnachtstraditionen nicht mehr erklären. Jetzt weiß sie selbst vom Nikolaus und schreit: Das ist der schönste Nikolaustag, den wir je gesehen hatten! Abends kocht sie mit mir Grütze für den Tomte und morgens jauchzt sie, wenn das Töpfchen leer ist, fest überzeugt, dass der Tomte mit dem Fuchs seine Mahlzeit geteilt hat. 

Ich liege auf dem goldenen Sofa, das wir seit kurzem haben. Endlich ein Sofa, wie sehr man das braucht in Deutschland, im Winter weiß ich erst jetzt, wo ich eines habe.

Ich schaue in die kahlen Apfelbäume hinaus und wenn die Sonne sich durch das graue Himmelsblech einn paar Löcher bohrt, scheint sie mir geradewegs durchs Fenster ins Gesicht hinein. In den letzten, den allerletzten Äpfeln, die auf den Bäumen verblieben sind, picken die Vögel.

Der Garten ruht, sich selbst überlassen, ein paar Förmchen aus dem Sandkasten stehen noch auf dem rostenden Gartentisch, auf dem wir doch eben erst Apfelkuchen servierten, die Äpfel vom Nachbarskind gepflückt, das in den obersten Wipfel kletterte um zu ernten. 

Auf den Rindenschiffchen, die das Mädchen und ich basteln und mit Waldschätzen beladen, segeln wir durchs Winterdunkel. Dunkel und hell, Licht in der Nacht, das ist November, das ist Dezember, das ist der in der Kälte verglimmende Rest diesen Jahres. 

Abends, wenn ich bäuchlings im Bett liege, lausche ich dem Puls der Erde. 

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