Wie ich an Weihnachten einmal allein war

Weihnachten allein

Dieser Text ist für meine Freundin H., die dieses Jahr Weihnachten allein feiert an dem selben Ort, an dem ich vor einigen Jahren die Weihnachtstage verbrachte. Mögest Du, liebe H. eine stille und reiche dunkelhelle Zeit verbringen. Mögen alle, die Weihnachten allein sind, sich verbunden fühlen, mit sich selbst, mit dem Licht, mit dieser Welt, in der wir alle leben.

Ein einziges Mal habe ich Weihnachten ganz für mich allein gefeiert – und vielleicht war das mein schönstes und wichtigstes Weihnachten überhaupt. Seit ich dieses Weihnachten feierte ist es gar nicht mehr wichtig, wie und mit wem ich die Festtage verbringe. Mit diesem Weihnachten verschwand, die Sehnsucht und Traurigkeit, die ich manchmal an Weihnachten fühlte, nachdem der kindliche Zauber verschwunden war, und kehrte nicht wieder.

In diesem Jahr fuhr ich schon einige Tage vor Weihnachten in den Schwarzwald in ein kleines Dorf, um die Zeit zwischen den Jahren dort zu verbringen. Das kleine Örtchen liegt in einem sanft geschwungenen Hochtal, nur eine kleine Straße führt hindurch, die sich in einem Feldweg im Wald verliert. Die riesigen Dächer sitzen auf den alten Häusern wie viel zu große Hüte auf den Köpfen dunkler Waldgestalten.

Dort, in diesem kleinen Dörfchen mit dem kleinen Bächlein, das sich durch die Wiesen windet, dem alten Wasserrad, das im Winter festfriert, war in jenen Jahren meine Heimat. Es war der Ort, an dem ich in mir einen guten Boden gefunden hatte und gleichzeitig auch in dieser Landschaft des Hochschwarzwalds Wurzeln schlug. Obwohl ich nie länger als ein paar Monate dort oben lebte, ist das Gefühl des Zuhauseseins nie wieder verschwunden. Wenn ich Moos, Heidekraut und Blaubeerbüschen sehe, wenn ich die klare, reine Luft des „Deutschen Davos“, wie Todtmoos einst genannt wurde, einatme, dann bin ich innerhalb weniger Augenblicke wieder da, geborgen. Zu Hause. Und auch jetzt, in der tropischen Wärme Indiens, ist dieser so lebendig in mir und ich glaube, dass er das auch immer bleiben wird.

An diesem Ort hatten Karlfried Graf Dürckheim und Maria Hippius in der Nachkriegszeit einen Ort gegründet, der Suchende aller Art anzog. Hier entwickelten sie ihre Methode, eine Mischung aus Zen, Therapie, Gestaltung, mit der sie vielen vielen Menschen halfen, aus dem innersten essenziellen Kern heraus in der Welt zu sein, alte Schalen zu brechen und zu einem wahrhaftigeren Leben zu finden, heilsam für dein Einzelnen und auch für die Welt, die durch den großen Krieg in ihrem großen Herzen so schwer verwundet war.

Es war die Zeit zwischen meinem Studium und dem danach, dieses Danach das über Monate sich nicht zeigen wollte und mich in einen Zwischenraum versetzte, in dem es erst einmal warten hieß, bis das Neue sich zeigen würde – trotz aller Pläne und Vorstellungen, die ich gemacht hatte. Es war die Zeit, in der dieser Zwischenraum Risse bekam und brach und die wunderlichsten Kreaturen und Gewächse aus den Spalten hervorkrochen und mein Weltgefüge zu einer neuen, organischeren Form zusammenwachsen ließen. Zu dieser Zeit wollte ich nicht einfach das Weihnachten feiern, das ich immer gefeiert hatte, mit meiner Familie in der Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Ich wollte es für mich alleine fühlen, fühlen, wie diese Tage sich anfühlten, wenn sie sich von Konventionen und Gewohnheiten lösten. Ich war mir nicht sicher ob es schön, oder aber vielleicht auch sehr traurig und einsam werden würde und ich wusste auch noch nicht, was ich überhaupt dort im Schwarzwald tun würde. Aber ich wollte es probieren.

Wie immer hatte ich mein Domizil im Lehnerhaus bezogen, einem alten Schwarzwald-Bauernhaus, ehemals mit Viehstall und Räucher-Räumen, das jetzt von der alten Frau Lehner sowie der jungen Familie Lehner mit ihren Kindern bewohnt wurde. Es lag Schnee, der diese Landschaft in einen traumschweren Zauberwald aus dem Märchen verwandelt. Ich erinnere mich genau, wie dieses Weihnachten begann: Ich kam von draußen, von einem Spaziergang vermutlich, es dämmerte, als ich die alte, bis Anbruch der Dunkelheit immer unverriegelte Holztüre öffnete und die knarrende Holztreppe hinaufstieg. Da fand ich vor der Türe meines Zimmers einen kleinen Weihnachtsgruss, eine Kerze und ein Gedicht von Hesse:

In Weihnachtszeiten reis' ich gern
Und bin dem Kinderjubel fern
Und geh' in Wald und Schnee allein.
Und manchmal, doch nicht jedes Jahr,
Trifft meine gute Stunde ein,
Daß ich von allem, was da war,
Auf einen Augenblick gesunde
Und irgendwo im Wald für eine Stunde
Der Kindheit Duft erfühle tief im Sinn
Und wieder Knabe bin... 
Hermann
Hesse

Voller plötzlicher Weihnachtsfreude ging ich in mein Zimmer und begann, mein Weihnachten zu feiern, auf dem alten knarrenden, mit Teppich ausgelegten Boden meines Zimmers sitzend.

Es gab Hering aus dem Glas, Knäckebrot und Butter und die einfache Mahlzeit schmeckte so herrlich, dass ich es gegen kein Festmahl der Welt hätte eintauschen wollen.

Später bastelte ich eine Reihe von Porträts lustiger Gestalten, die alle an meiner Weihnachtstafel Platz nahmen, eine lustige und kuriose und bunte Weihnachtsgesellschaft, und jeder der da am Tisch sass war mir so nah, so verwandt als hätte ich seit eh und je mit ihnen Weihnachten gefeiert.

Zum Nachtisch gab es Weihnachtsplätzchen, die ich ebenfalls geschenkt bekommen hatte. Die Kerze leuchtete, der Weihnachtszauber, der sich so schwer beschreiben lässt, leuchtete in meiner Seele. Ich zog Mantel und Stiefel an und machte einen Weihnachtsspaziergang durchs Dorf, sah die Kerzen in den Fenstern leuchten und die Sterne am Himmel und war glücklich.

So war es, mein Weihnachten allein. Unvergesslich schön und reich.