Über die Dinge. Notizen aus dem Dazwischen II.

Es geht los. Die Packerei und die Verwirrung. Heute schon meine alte Telefonnummer aufgesagt, die es schon über ein halbes Jahr nicht mehr gibt. Hinter dem Esstisch stapeln sich jetzt Kartons. Auf meinem Schreibtisch haufenweise Dokumente von der Umzugsfirma.

Alles fällt ineinander, das Ende, der Anfang, die Erinnerungen, auf einen Platz. Als wäre Zeit tatsächlich etwas rundes, ein Kreis, der sich schließt und wieder neu beginnt. Die Gefühle stapeln sich in- und aufeinander wie die Kisten.

Unser Zeug kommt im Container nach Hause. Bei der Ausreise hatten wir nur ein paar Koffer. Und verschickten ein paar Kisten. Aber das war fast schlimmer, aufwändiger. Jedes Mal eine Zollerklärung ausfüllen, jeden Gegenstand wiegen und im Wert schätzen. Nach Indien kann man nicht einfach einen Pappkarton schicken. Man muss eine Blechkiste nehmen. Etwas Stabiles. Das wusste ich aber damals nicht.

Meine liebsten Bücher, Gedichtbände, ohne die ich nicht leben kann, schickte ich im Karton. Als sie hier ankamen waren sie feucht, gewellt, verknickt, gebeutelt. Sie sahen aus, als habe man mit den Kisten Fußball gespielt. Keines meiner Bücher, auch nicht die ich am längsten besitze und am öftestens gelesen habe haben, je so ausgesehen. Es machte mich traurig.

Der Koffer mit den Babysachen, die wir nach der Geburt hierher schickten, war irgendwo im Wasser gestanden. Die schönen kleinen Schuhe, die wir mitgenommen hatten komplett verschimmelt, so wie ein Großteil des restlichen Inhalts auch. Es machte mich traurig.

Für die Kisten, in denen ein paar alte Fotoobjektive waren, mussten wir ein irrsinnige Menge an Zollgebühren zahlen. Auf den Hosen waren Schuhabdrücke. Jemand war darauf herumgelaufen.

Als wir die Möbel hier bestellten, musste ich die Hälfte davon wieder zurückgehen lassen, weil die Sachen gar nicht unbeschädigt hier ankamen.

Es machte mich nicht nur traurig, es machte mich wahnsinnig. Bestürzt. Hilflos. Wütend.

Irgendwie bin ich einen anderen Umgang mit Dingen gewohnt. Auch mit den Dingen anderer. Sorgfalt und Umsicht sind mir wichtig. Dinge möglichst lange zu nutzen ist mir wichtig. Hier aber gehen Dinge viel schneller kaputt als anderswo. Weil sie nicht gut behandelt werden. Oder aber auch, weil sie schon in schlechterer Qualität hergestellt werden. Oder weil sie im Monsun schimmeln, in der Hitze spröde werden. Vielleicht auch, weil man Dinge hier einfach nicht so wichtig findet? Ich drehe durch, wenn mein Druckerpapier schon bei der Lieferung Eselsohren hat. Meine Hausfee bringt mir ihre Referenzen früherer Arbeitgeber schräg zusammengefaltet und geknickt in ihrer Tasche.

Hinter jedem meiner Werte, der verletzt wird, steckt ein anderer, sage ich mir. Einer, den ich nicht sehen kann. Ich sehe nur meinen Wert. Den aber sehen die anderen nicht. So ist das. Wenn man woanders hingeht, lernt man die eigenen Grenzen kennen. Vor allem, wenn sie überschritten werden. Ich fühlte mich, als sei ich selbst so achtlos behandelt worden. Es tat weh. Als seien die Dinge ich und ich die Dinge.

Dabei sind es am Ende halt doch nur ein paar Babyschuhe. Wenn man das Urteil weglässt. Und nur die Gefühle fühlt, auch wenn sie nicht angenehm sind. Das ist eigentlich schon Aufgabe genug.

Nun also wieder Koffer packen und alles was nicht hineinpasst kommt in den Container. In 3 Wochen werden unsere Sachen abgeholt. Bye, bye sage ich in Gedanken. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen. Und wie. Dieses Mal bin ich jedenfalls vorbereitet. Ein bisschen.