Ein bisschen Guru, ein bisschen Bollywood. Kita-Suche in Indien.

Seit einiger Zeit schon, eigentlich schon seit kurz nach dem ersten Geburtstag, genießt unser Mädchen sichtlich die Gesellschaft anderer Kinder und ich genieße es, anderen Tätigkeiten nachgehen zu können. Also machten wir uns auf die Suche nach Betreuungsmöglichkeiten.

Das Wort Kindergarten ist in Indien nicht gebräuchlich, Preschool heißt das und von Anfang an spricht man von Lehrerinnen und Lehrern und von Klassenzimmern und von „going to school“. Möglichst früh soll möglichst schnell gelernt werden, denn der Wettbewerb in Indien ist hart. Auf einen Studienplatz einer guten Universität kommen viele Hundert Bewerbungen.

Von einer anderen Expatfamilie hören wir von einer Montessorieinrichtung. Also fahren wir an einem Samstag dorthin, mein Mann, meine Tochter und ich. Das Mädchen ist direkt begeistert von den Töpfen mit Linsen und Reis und kennt die Schüttspiele schon von zu Hause. Wir nehmen an einem Workshop Teil – Pflicht, wenn man sein Kind hier anmelden will. Wir kriegen Ratschläge wie wir mit den ganzen Sprachen umgehen sollen, denn die meisten indischen Kinder sind von klein auf mit 2 oder auch 3 oder 4 Sprachen konfrontiert. Eine Person – eine Sprache, sagt man uns, denn für das Kind, das sprechen lernt, ist es ohne hin so, als spreche jede Person ihre eigene Sprache. Spannend, denke ich, denn irgendwie stimmt das ja auch, dass jeder Sprache auf seine Weise benutzt. Die Kinder lernen hier Telugu, Englisch und Hindi, sagt man uns, und später auch französisch. Der Kindergarten ist windelfrei – von Anfang an, und es gibt einen Raum mit kleinen Toiletten. Unser Kind gehorcht nicht, es macht überall hin, sagt ein Vater. Und es ißt nur, wenn es einen Bildschirm vor sich hat. Die Leiterin beruhigt und empfiehlt, die Kinder mit dem Essen experimentieren zu lassen, schon in der Küche bei der Zubereitung. Und das Pipimachen habe nichts mit gehorchen zu tun.

Dann dürfen wir uns umsehen. Ein bisschen wie ein Guru scheint Maria Montessori hier verehrt zu werden, jedenfalls gibt es ein dekoriertes Bild, wie so oft in Indien, wenn ein Gott oder Guru verehrt wird. Die Inderinnen und Inder sind ja sehr undogmatisch, was ihre Götter und Göttinnen angeht. Was sich als göttlich erweist, wird großzügig eingemeindet.

Ich mag diesen Ort sehr mit seinen hellblau türkis gemalten Wänden sehr und den wunderbar einfachen anregenden Spielmaterialien. Aber er ist zu weit weg. 40 Minuten Fahrt – wenn es gut geht. Daraus kann schnell eine Stunde werden, morgens im Berufsverkehr. Also mindestens anderthalb Stunden Fahrt für zwei Stunden Kindergarten. Jeden Tag. Durch Verkehr und schlechte Luft. Ich kann mir das nicht vorstellen.

Also schauen wir uns den Kindergarten bei uns auf dem Campus an. Er gehört zur internationalen Schule und die kleinste Gruppe sind die Zwei-bis Dreijährigen.  Es gibt einen großen Spielplatz mit Sand und Dach, das gegen Sonne und Regen schützt. Das ganze Schulgelände inklusive Personal strahlt eine Atmosphäre von Gemeinschaft und Wertschätzung aus. Es sind Third Culture Kids, die hier zur Schule gehen, Kinder, die in internationalem Umfeld aufwachsen, einige davon haben schon in einer haben Handvoll anderen Ländern gelebt oder werden bald wieder in ein anderes Land gehen.

Diese Kita hat keinen Guru, dafür aber ein bisschen Bollywood: Zweimal die Woche singt der Musiklehrer mit den Kindern. Das heißt: er spielt ein Youtube Video mit Sing-Bewegungsliedern und alle Kindern hüpfen und tanzen im Kreis. Es erinnert mich an die Tanzsequenzen in den Bollywood-Filmen. Es bisschen laut, ein bisschen schrill.

Damals, in den 80er Jahren, als ich in den Kindergarten ging, hatten wir Rhythmik. Mit Triangel und Tamborin hüpften wir durch den Raum oder krochen als Schnecken über den Teppich. Ich seufze ein bisschen.

Das Mädchen nennt die Kita schon nach kurzer Zeit Ia Ia Cow, weil ungefähr das erste, was sie dort lernt, das Lied „Old McDonald had a farm“ ist. Ia ia Cow? gehört seit ein paar Tagen zu den ersten Fragen, die das Mädchen frühmorgens stellt.