Ich ziehe nach New Jersey! Die Frau hinter dem Schreibtisch schaut mich mit weit aufgerissenen Augen an. Die Aufregung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Oh wie aufregend, sage ich.
Seit einigen Wochen sehe ich diese Frau dreimal die Woche. So lange ich keinen Gatepass habe muss ich mich jedes Mal, wenn ich das Geländer der Internationalen Schule betrete, in ein Gästebuch eintragen. Und das liegt in ihrem Büro. Freuen Sie sich? Ja, sagt sie. Aber ich habe auch Angst. Ich habe noch nie das Land verlassen. Ich war auch noch nie in Asien, bevor ich nach Indien zog, sage ich. Es sind sehr einschneidende Erfahrungen. Sie werden Dinge lieben und Sie werden Dinge vermissen. Ja, sagt die Frau, und nun hat sie Tränen in den Augen. Sie werden als Frau eine andere Freiheit genießen, sage ich. Aber Sie werden vermutlich auch einen sozialen familiären Zusammenhalt vermissen, in den Sie hier eingebettet sind. Die Frau nickt und ist dem Weinen nahe. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute, sage ich und gehe aus ihrem Büro. Ich werde sie vermissen, ruft sie mir hinterher.
Draußen in der Sonne setze ich mich für einige Momente auf die Treppe und schaue auf den Spielplatz, der jetzt, wo alle Kinder in ihren Klassen sind, verlassen vor mir liegt. Ich hätte der Frau noch mehr sagen wollen. Ich hätte ihr sagen wollen, sie soll der Welt erzählen, wie sie diesen Weltenwechsel erlebt. Von dem, was sie genießt, von dem was sie vermisst. Von der Verzweiflung und dem Rausch, in der Fremde zu sein. Von den neuen Wegen, die sich öffnen, und den Mauern, an die man stößt. Ich hätte ihr sagen wollen, dass die Menschen, die an einen so anderen Ort ziehen, das nicht nur für sich selbst tun, das nicht nur für sich selbst bewältigen, sondern auch für alle andere Menschen mit. So viele Menschen stehen heute vor dieser Aufgabe, verschiedene Welten im eigenen Herzen zusammenzubringen.
All diese Menschen, die an andere Orte, in andere Länder ziehen! Mit so vielen Hoffnungen, Wünschen, Vorstellungen und Träumen, wie das Leben am anderen Ort sein kann. Nicht alle davon gehen in Erfüllung und dann braucht es Wege, wie man damit umgeht. Diese Wege werden jetzt in diesem Moment gefunden, dieses Wissen wird erworben, jetzt gerade, von allen denen, die das erleben und die dann weitergehen und ihre ganz eigenen Strategien dafür entwickeln. Ich wünsche mir, dass Menschen davon erzählen. Und ich wünsche mir, dass gerade auch Frauen davon erzählen, wie sie das machen, mit Arbeit und Familie, mit den anderen Rollenbildern, denen sie in anderen Ländern begegnen, den Möglichkeiten und Grenzen aufgrund ihres Geschlechts. Damit andere von ihnen lernen können, ihren ganz eigenen Weg zu finden.
Es scheint so zu sein, als ob es für uns auch global darum geht: Dass wir als Menschheit lernen, die Welt in ihrer Ganzheit wahrzunehmen und sie in unsere Arme zu schließen.
Ihr, die Ihr in andere Länder zieht. Fangt schon mal an. Ihr Frauen, in der Fremde. Ich wünsche mir, dass Ihr erzählt.
Margret sagt:
Sehr einfühlsam und schön, mutig und mit großem Auffoderungscharakter
ich bin jeden Tag gespannt auf deinen Blog.
Es ist wie ein Geschenk für den Tag!
Wo ist das Foto fotografiert?
ankafalk sagt:
Danke! Das Foto ist bei uns auf dem Campus fotografiert.