Wieder ein Hindu-Festival. Holi. Farbige Wolken in der Luft, Becher und Tüten voller Farbpulver in indischen Knallfarben: blau, rot, orange, pink. Ein bisschen wie Karneval, nur ohne Alkohol: ausgelassene Erwachsene, die die Hände in das Pulver tauchen und sich gegenseitig über die Wangen streichen, so dass dort bunte Streifen bleiben.
Aber das ist erst der zahme Anfang. Dann geht es weiter: Das Pulver wird geworfen, ganze Päckchen ausgeleert, Haare, Haut, Kleider – alles voll, bis in die Ohren und Augen. Brillen, Kameras, Handys – nichts bleibt verschont vom bunten Staub. Nach der Farbe kommt das Wasser, in großen Eimern wird es ausgeleert über jedem, der in Reichweite ist.
Schließlich endet alles im Schlamm. Der ausgetrocknete Boden hat sich in eine riesige matschige Pfütze verwandelt, durch die jetzt bauchwärts geschlittert wird.
Ich habe selten in Indien erlebt, dass erwachsene Männer und Frauen sich so unbedarft berühren. Holi ist ein Tag, an dem Grenzen verschwimmen, in Wolken von Farbpulver unscharf werden.
Mitten in dieser für Indien so typischen schrillen, rauschhaften, den Geist vernebelnden Farbigkeit, fängt auch unser Leben hier an, sich aufzulösen. Jetzt wird es absehbar. Plötzlich liegt vor uns nur noch die Hitze und die Abreise. Ein paar Monate noch. Plötzlich kommen die Dinge in Bewegung. Das eben noch selbstverständliche Zuhause, unser Haus hier, fängt an, ein wenig in der Luft zu schweben.
Ki ist ki und Do ist Do sagt meine Freundin in einer Sprachnachricht und ich verstehe zum ersten Mal, was sie damit meint. Die liebe R hat diesen Satz schon oft gesagt, und ich habe zwar die Worte verstanden, aber nicht so recht die Bedeutung. Meine Freundin ist Dan-Trägerin einer koreanischen Kampfkunst, Shinson Hapkido heißt die. Sie sagt gerne mal solche Sachen. Einen Weg mit dem Herzen gehen, das ist auch so ein Satz von R, über den man lange nachdenken kann.
Ki oder auch Qui oder Chi. Energie. Lebensenergie. Und Do ist der Weg. Energie ist Energie und Weg ist Weg heißt der Lieblingssatz meiner Freundin also. Oder auch: Manche Dinge erreicht man durch Einsatz, durch das Mobilisieren von Energie. Andere Dinge ergeben sich auf dem Weg. Die kann man nicht erzwingen. Die müssen reifen, ersehnt werden oder auch geduldig erwartet. Empfangen, ausgetragen, geboren. Und dann plötzlich geht es weiter.
Lange wussten wir nicht, wo es hingeht für uns. Lange warteten wir, sondierten, diskutierten. Jetzt ist auf jeden Fall die nächste Etappe klar.
In diesen Tagen geschieht etwas mit Jona im Walfischbauch. Der Bauch kriegt Löcher. Plötzlich strömt frisches Wasser, in die Höhle, in der Jona lebt. Mit Holi-Pulver gefärbtes Wasser. Bunt wird es jetzt da drin. Bald schon wird Jona ausgespien werden. Es könnte aber auch sein, er wartet gar nicht so lange. Es könnte sein, er macht sich einfach durch eins der Löcher davon, Zwängt sich hindurch, ins weite Meer hinaus. Ich glaube, ich schwimme mit.
Karin Wiegmann sagt:
So schön deine Einträge zu lesen und in eine fremde Welt einzutauchen. Der Aufbruch, Neuanfang und auch der Abschied sind spürbar! Freude und Trauer kommen in mir dabei auf! Alles Liebe für euch!
ankafalk sagt:
Ganz liebe Dank, freue ich mich sehr über diese Rückmeldung!