Der Mai riecht nach Jackfruit, die beim Sturm vom Baum in unserem Garten fällt, dieses riesige stachelige Ungetüm von Frucht, deren intensiver Duft in jeden Raum des Hauses vordringt wie ein ungebetener, schamlos neugieriger Gast. Der Mai riecht nach Mango, Unmengen von Mangos in rot, gelb, grün, die jetzt gegessen werden müssen, jetzt, schnell, denn wenn der Regen kommt, dann ist es mit den Mangos vorbei.
Der Mai riecht nach dem Kardamom, den ich in das milchig-gelbe Mangolassi gebe. Der Mai riecht nach Melonensaft, der meinem Baby am Kinn klebt, an den kleinen Fingern, der den nackten Bauch herunterrinnt und auf den Boden tropft. Der Mai riecht nach Regen auf heißem Asphalt, lange ersehntem Regen, der viel zu selten kommt und viel zu kurz bleibt. Nein sagt mein Liebster, der Mai riecht nach Regen, der auf ausgedörrte Erde fällt, und man kann den Regen riechen noch bevor er kommt. Der Mai riecht nach der Sehnsucht nach Monsun, dem täglichen Blick zum Himmel. Der Mai riecht nach Eukalyptus von den Bäumen, die die Straße säumen. Der Mai riecht nach Hitze, Schweiß und Durst. Der Mai riecht nach Ramadan und Haleem, das die Muslime nach Sonnenuntergang an langen Tischen verspeisen. Der Mai riecht nach Chlorgranulat, das wie liegengebliebener Hagel am Rande des Schwimmbads liegt, des Schwimmbads, in das wir jeden Tag steigen, wenn die Hitze des Tages ein wenig den Ehrgeiz verliert. Der Mai riecht nach Abschiedstränen, vergossen beim Abschied von liebgewonnenen Menschen, die die Stadt verlassen. Früher oder später verlassen fast alle wieder diese Stadt. Der Mai riecht nach dem Desinfektionsmittel auf einer tiefen Wunde. Ein Hundebiss, ein Schreck und eine gute Gelegenheit um über das Leben an sich nachzudenken. Der Mai riecht nach dem viel zu teuren griechischen Schafskäse, den ich über unser Gemüse bröckele. Der Mai riecht nach dem Metall des Zahnarztbohrers in meinem Mund. Der Mai riecht, wie kein anderer Monat in Indien, nach Hitze, nach abendlichen Spaziergängen in der Dunkelheit, wenn die Eulchen schreien und das kleine Mädchen den Mond begrüßt. Der Mai riecht, wie alle Monate in Indien, nach dem betörenden Duft von Jasmin, den mein Mädchen in eine Schale mit Wasser legt und klatscht.
Dieser Text ist eine Replik aus Indien auf die wunderbaren monatlichen Geruchsberichte von readonmydear und ihren Mai-Duft findet man und frau hier.
Charles sagt:
Ein sehr schöner Text, vielen Dank.
Margret sagt:
Fantastisch , wunderschön der Text. Er erinnert mich an…vielleicht das Hohe Lied der Liebe…mir fällt gerade der andere Dichter nicht ein…später werde ich mich an ihn erinnern.
Sibylle sagt:
Liebe A., deine Texte berühren mich zu Tränen und ich weiß nicht, warum….
ankafalk sagt:
Ooooh, wie schöööööööön, danke, das freut mich sehr!