Der Juni riecht nach zu dunkel geratenem Sauerteigbrot, aber das macht nichts, denn Brot, Roggenbrot, Sauerteigbrot ist wie Gold, wenn man deutsch ist und in Indien lebt.
Der Juni riecht nach Chapati, die die Nachbarin für uns macht. Erst in der Pfanne und dann auf der offenen Gasflamme. Leicht, so leicht und mühelos sieht es aus und das Mädchen steht neben ihr, auf einem Hocker, und rollt das erste Chapati ihres Lebens aus einem Klumpen Teig.
Überhaupt riecht der Juni nach Gebäck, nach Zimtschnecken und Birnenkuchen und nach ausgeblasenen Geburtstagskerzen, guten Wünschen und Liebe.
Der Juni riecht nach gebratenem Fisch, mit Zimt und Ingwer gewürzt, den uns die Nachbarin gibt, noch warm. Der Juni riecht nach Chickencurry, auf einer kleinen Feuerstelle vor dem Haus gekocht. Warum sind wir überhaupt auf diese Küchenherde umgestiegen, sagt Rachit, es schmeckt doch so viel besser. Aber es macht krank, sagt der Mann und auch das stimmt, denn erst neulich stand es in der Zeitung, dass auch auf dem Land die Menschen husten und schwer atmen. Wegen der Feuer, auf denen sie ihr Essen kochen. Wegen des Rauchs.
Der Juni riecht nach dem Calendula-Shampoo, mit dem ich die blonden flusigen Haare meiner Tochter wasche, draußen in der Gartendusche unter dem Maracuja-Lauben-Dach, während sie die Nase kräuselt, die Augen zukneift und probiert, wie die neu erlernten Worte im Mund schmecken, mariniert in Calendula.
Der Juni riecht nach dem neuen Schränkchen, das ich erstanden habe, aus Holz und innen so herrlich blau und in das ich die kleinen Hemdchen und Kleidchen des Mädchens räume, während es neben mir steht und staunt. Das ist dein Schrank, sage ich und das Mädchen spielt mit dem Riegel, der die Tür verschließt, so lange bis es weiß, wie es geht.
Der Juni riecht nach Leere und Langeweile, nach Warten auf die Rückkehr des Papas. Nach immer neuem Kaffee an immer müden Morgen, gemahlen in der knarzenden Kaffeemühle einer Großmutter von der Schwäbischen Alb, zwischen müden Beinen festgeklemmt.
Der Juni riecht nach Blumenkohlauflauf mit Käse an einem langen Abend, an dem wir Fußball schauen, Tatort und wieder Fußball und uns so deutsch fühlen wie lange nicht.
Der Juni riecht nach den Insektiziden, mit denen die Menschen die Moskitos aus ihren Häusern vertreiben, die Ameisen und Kakerlaken und was es da so alles gibt. In großen Wolken strömt der beigemischte Duft der großen schwarzen Dosen aus den Türen der Häuser und ich gehe ein bisschen schneller und halte die Luft an.
Der Juni riecht nach feuchten dunklen Abenden mit dicken Kröten auf der Straße. Nach Zucker und Kindern im Zuckerhoch am letzten Kita-Tag vor den Sommerferien.
Der Juni riecht nach der Melancholie der Abschiede, nach Sehnsucht und Ungewissheit. Nach Ankommen und Normalität und Abenden an denen ich feststelle, dass ich nicht länger darüber nachdenke, wie es ist in Indien zu sein, sondern es einfach nur bin.
Der Juni riecht nach verstaubten Kräutern und Pülverchen im Unani-Hospital, nach dem Zauber des alten Hyderabad, dieser Stadt, in der ich lebe und deren Geheimnisse mir doch die meiste Zeit verborgen bleiben.
Der Juni riecht nach klarer Luft, so klar wie sie eben sein kann am Rande einer Milllionenstadt in Indien. Der Regen jedenfalls hat für einmal den Staub aus Himmel und Straßen gewaschen und für einmal ist der Himmel blau und die Wolken weiß, so wie ich das eigentlich kenne, so wie es hier fast nie, fast nie mehr ist.
Und schließlich und unfasslich riecht, nein duftet der Juni in Indien tagelang nach dem größten Lilienstrauß meines Lebens, weil ich eine Frau getroffen habe, die jemanden kennt, der jemanden kennt, der tatsächlich weiß, wo man in dieser Stadt Lilien herkommt und die eines Tages anruft und sagt: Madam, die Lilien, sie sind da.
Dieser Text ist eine Replik aus Indien auf die wunderbaren monatlichen Geruchsberichte von readonmydear und ihren Juni-Duft finden man und frau hier.
Fräulein Read On sagt:
So schön, man möchte diesen, ihren Juni gern als Parfümflasche haben zum Mitnehmen und Riechen und zum sich Erinnern und dann die Lilien was für ein Glück. Vielen Dank für diesen Text.
ankafalk sagt:
Oh danke schön! Sich an Gerüche zu erinnern erweist sich als eine sehr schöne Art und Weise, den Monat nochmals Revue passieren z lassen. Und ja die Lilien! Ich liebe nämlich Lilien!