Manchmal sind die Hände meines Babys schwarz, wenn es vom Spielen kommt. Bäume, Wege, Bänke, Spielgeräte: An allem klebt der schwarze Staub. Schwarzer Staub, der sich auf jedes Blatt legt, auf jeden Ast, auf jeden Stein und jede Blüte. Auch wenn ich ihn nicht sehe, den schwarzen Staub, so ist er in der Luft, mal mehr, mal weniger. Manchmal schon morgens. Dann ist das Licht, der Himmel, die Bäume so seltsam grau.
Wie alle Farben hier verblassen und ihre Kraft verlieren können merke ich erst, wenn ich wieder in Europa bin. Wenn ich sehe, wie ein saftiges sattes Grün aussieht oder ein strahlender Himmel. Die knallfarbenen Kleider der indischen Frauen stechen aus der ergrauten Landschaft hervor, ebenso alles andere was Indien an schriller Farbigkeit zu bieten hat: Die vor Sinnlichkeit überquellenden hinduistischen Rituale. Die reichverzierten Tempel. Alles dies aber kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass da dieser schwarze Staub ist, der von den Autos kommt, den Motorrändern, den Fabriken, dem Müll, der täglich verbrannt wird, den Feuern, auf denen gekocht wird. Die Reihe setzt sich fort mit endlosen Dingen, von denen ich nichts weiß. Die Verschmutzung der Luft hier hat ein solches Ausmaß, dass ich über Feinstaubalarm in schwäbischen Metropolen nur noch milde lächeln kann. An manchen Tagen schließe ich schnell wieder die eben erst geöffnete Tür und bleibe im Haus. Muss ich doch raus, versuche ich flach zu atmen. Ich halte die Luft an. Denn zum schwarzen Staub gesellt sich an manchen Tagen nicht identifizierbarer Gestank. Es sind die Fabriken rings um den Campus, die Autoreifen herstellen und Medikamente. Heute hat es gebrannt in der Reifenfabrik, heißt es an Tagen an denen dicke schwarze Wolken in den Himmel steigen. An anderen sieht man nichts, man riecht es nur. Ach, was macht ein bisschen Geruchsbelästigung, sagen die Verantwortlichen, wenn wir dafür Massen von Menschen mit Medikamenten versorgen können. Wir messen die ganze Zeit die Luftqualität, sagt man mir hier auf dem Campus.
Es ist der Preis für Motorisierung. Der Preis für Wirtschaftswachstum. Der schwarze Staub ist die Währung, in der dafür bezahlt wird. Die Reichen stellen sich Airpurifier in ihre Häuser, Geräte, die die Luft in den Innenräumen reinigen. Die Armen verbrennen weiter täglich ihren Müll.
In Singapur darf nur ein neues Auto angemeldet werden, wenn auch ein altes abgemeldet wird. Hier werden monatlich tausende neuer Autos neu angemeldet. Der Verkehr implodiert schon jetzt, das Metronetz ist schon zu klein, bevor es überhaupt fertig gebaut ist. Die Fahrradrikschas sind fast vollständig aus der Stadt verschwunden. Ein paar wenige der klassischen indischen Fahrräder gibt es noch. Wer kann kauft sich ein Moped, ein Motorrad, ein Auto. Wer nicht im Auto sitzt, bindet sich ein Tuch vors Gesicht.
Manchmal sind die Hände meines Babys schwarz, wenn es vom Spielen kommt. Der schwarze Staub, er legt sich auch auf meine Haut, auf meine Haare, mein Herz.
Auch die Tränen, die geweint werden in dieser Stadt, sind schwarz.