Heimat. Ein Wiegenlied.

Letztes Jahr, im September. Wir sind ein Freiburg, ein paar Tage nur. Es ist Samstag und wir gehen auf den Markt. In Freiburg auf den Wochenmarkt zu gehen, ist ein Fest. Und jetzt, wo wir so weit weg leben, erst recht.

Es duftet nach Weinbergpfirsichen, nach Zwetschgen, nach Bratwurst. Berge von Gladiolen und Löwenmäulchen. So viel Fülle, so herrlich frisches Obst und Gemüse, die sich auf den Tischen türmen und mitten drin das Münster das seinen Turm in den spätsommerlichen Himmel reckt.

Wir gehen hinein. Lange war ich nicht in einer Kirche. Wie anders ist die Atmosphäre in einem hinduistischen Tempel! Hier wird geschwiegen, die Bewegungen der Menschen sind langsam und bedächtig, wenn jemand zu laut ist wird er mit ein paar Zischlauten ermahnt.

Vor einer Marienstatue stehen brennende Kerzen, deren Schein im Dunkel des Kirchenkörpers warm und golden leuchtet. Menschen entzünden weitere Kerzen, verbunden mit Wünschen, Gebeten, mit Hoffnung und Sehnsucht. Wir gehen auf und ab und hin und her, das kleine Mädchen in der Trage beim Papa.

Freiburg, Spätsommerwetter, Wochenmarkt, eine Kirche, Orgelmusik. All das ist Teil meiner Kultur, vertraut, beinahe als wäre es Teil meines Körpers, als seien das Gliedmaßen und Zungenschläge, die ich schon lange kenne und selbstverständlich bewege, deren Stärken und Empfindlichkeiten ich so gut kenne, dass ich nicht über sie nachdenken muss.

Dann räuspert sich jemand ins Mikrofon. Gleich wird die Musik zur Marktzeit beginnen. Fast eine halbe Stunde Musik, einfach so, für alle, die es vom Markttreiben hereingespült hat in den dunklen stillen steinernen Raum, in dem die Schritte hallen. Gleich wird ein Organist hier spielen, heißt es, und wenige Sätze und Minuten später füllen die ersten Klänge die kühle Luft. Der Mann, der hier spielt, wurde vor wenigen Tagen Vater. Seine Frau und seine neugeborene Tochter sitzen irgendwo mit uns auf einer der Holzbänke und lauschen. Der Organist improvisiert. 5 verschiedene Stücke, ein Kaleidoskop für Edda. Übers Wachen und Träumen, über die Löwin und den Wassermann. Und ein Wiegenlied. Der Kirchenraum füllt sich mit Wunder, Zauber und Liebe.

Ich sehe meine Tochter an, ihren Vater, der in einer sanften Geste mit einer Hand ihr Köpfchen stützt. Sie ist eingeschlafen.

In diesen Minuten, in diesem Wiegenlied, im Freiburger Münster, an einem Samstag im September bin ich zu Hause, lange nachdem der letzte Ton verklingt.

***

Der Organist der an diesem Sonntag spielte ist Christina Wehrle

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