Ein letztes Mal: ein Mittwoch in Indien im Juni oder #WMDEDGT

Der Tag weckt nur mich, die anderen schlafen noch. Die letzten Tage, die wir hier haben, schmelzen in der Hitze, aber in diesen Tagen ist es ein bisschen besser. Es soll sogar unter 40 Grad bleiben heute. 

Es ist Eid und Feiertag für meinen Mann und wir haben bis zum Vorabend nichts davon gewusst. Feiertage sind Indien etwas höchst individuelles, jede Institution darf selbst entscheiden, was sie als relevant empfindet. Da verliert man schnell den Überblick.

Alles, was hier herumsteht, schaue ich jetzt mit Umzugsaugen an: Wegschmeißen, in den Container stecken, verschenken, hier lassen. Ich nehme den Mixer in die Hand, der zweite schon, seit wir hier leben. Die Stromausfälle, das Klima, schlechtere Qualität – woran auch immer es liegt. Was soll ich damit machen, sage ich zu meinem Mann. Der Mixer geht seit ein paar Wochen nämlich nicht. Der Mechanismus, der die Gefäße fixiert und den Mixvorgang startet streikt, klemmt, lässt sich nicht bewegen. Doch jetzt geht er plötzlich wieder und das ist nur eine der Überraschungen, die dieser Tag für uns bereit hält. Ich tanze freudig durch die Küche. Es gibt wieder selbstgemachte Hafermilch, Mango-Lassi, Melonensaft.

Der Liebste bringt das Kind in die Kita – die hat nämlich offen – und dann arbeiten wir beide zu Hause. Mittags mache ich schnell was zu Essen, der Mann holt das Mädchen ab. Das ist so müde, dass es schläft, nach wenigen Löffeln Reis.

Wir räumen Schränke aus und finden eine Holzkiste voll Rotwein, Bordeaux, 6 Flaschen! Und wir seufzen und lachen. So manches Mal hätten wir uns abends ein Glas Rotwein gewünscht. Alkohol ist in Indien – schwer zu kriegen und sehr teuer.

Später erzähle ich es der Inderin: Da denkt man sich ein Leiden aus und dann liegt da oben im Schrank eine Kiste mit Rotwein. Die Nachbarin lacht und sie weiß, was ich meine, das sehe ich in ihren Augen und es ist auch jetzt schon klar, dass wir heute noch eine Flasche öffnen werden, hier in ihrem Haus.

Die Nachbarin hat Besuch, die Schwägerin mit Mann und Kind und ein weiterer Neffe sind da. 3 Wochen werden sie bleiben, eine normale Besuchszeit hier. Jetzt ist dein Haus wie ein typisch indisches Haus, sage ich. Voll. Ja, lacht sie, genauso ist es, wenn wir in Punjab sind, zu Hause.

Der Neffe, neun oder zehn ist er, ist sehnig und muskulös. Geschmeidig wie eine Raubkatze springt er vom Wohnzimmertisch. Siehst du die Muskeln, sagt die Nachbarin. Das liegt daran, dass ihn seine Eltern als Baby immer mit Senföl eingerieben haben. Ich lache die Nachbarin aus, aber sie lässt sich nicht abbringen von ihrer Theorie. Ich erinnere mich, dass ich ein Fläschchen Senföl bekam, als das Mädchen gerade geboren wurde. Das wärme so gut im Winter, sagte man mir.

Die Kinder flocken in kleinen Grüppchen aus, schwärmen durchs Haus wie Bienen. Spiel. Frei und ungestört. Der Fernseher läuft, Kricket, Indien gegen Südafrika. Ungefähr zwei Drittel der Übertragung ist in Slow Motion und ich mache mich darüber lustig. Der Nachbar grinst und schweigt. Hauptsache er kann gucken.

Die Nachbarin kocht. Es gibt Haleem, das traditionalle Gericht der Muslime in Hyderabad während des Fastenmonats, das ehemals von Migranten eingeführt wurde. Es ist eine Art Brei aus Weizen, Linsen, Lammfleisch, über viele Stunden zu einer zähen Masse verkocht. Nur ganze Gewürze werden verwendet, erklärt mir die Nachbarin. Nelken, Zimt – es duftet. Natürlich hat die Nachbarin das nicht selbst gekocht, denn sie ist keine Muslimin.

Weil Haleem nicht alle mögen, macht die Nachbarin auch Sabji, also auf Gemüse basierendes Curry, und Berge von Chapati. Mein Mädchen umarmt die Nachbarin und lässt sich von ihr füttern.

Spät ist es, als die Rotweinflasche leer ist und wir nach Hause gehen, aber das darf sein. Viele solcher Tage wird es nicht mehr gehen. Lange rollt sich das Mädchen im Bett hin und her und ich vielleicht ist sie die letzte, die schläft. 

Mehr Tagebuchblogeinträge vom 5. Juni gibt es hier.

0 comentarios sobre “Ein letztes Mal: ein Mittwoch in Indien im Juni oder #WMDEDGT

  • Bettina Luther sagt:

    Schade, dass deine Zeit in Indien zu Ende geht. Ich habe deinen Blog wie ein Buch gelesen und hoffe, nein Wünsche mir von ganzem Herzen, das du nach Deutschland mitnehmen wirst. Deine Worte sind so liebevoll ausgewählt, ich folge deinen Texten wie auf einer sanften Welle. Besonders nachts, wenn ich aufwache und voller Unruhe nicht in den Schlaf finde, dann habe ich deine Erzählungen gelesen und eine tiefe Ruhe gespürt. Dankeschön
    Eine schöne verbleibende Zeit in Indien und alles Liebe und Gute für deine Familie.
    Liebe Grüße aus Karlsruhe
    Bettina

    • Ganz ganz liebe Dank für diese Rückmeldung, über die ich mich sehr sehr freue! Der Blog wird sicher noch eine Weile weitergehen, vielleicht auch wird er sich verändern, noch weiß ich es nicht….

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